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Unsere Umfrage für Januar 2017 lautete:
Die Diskussion um die Germanisierung Kaliningrads ist …
Seit Anfang 2016 ist im Kaliningrader Gebiet eine verstärkte gesellschaftliche Germanisierungs-Diskussion zu bemerken. Germanisierungs-Diskussionen waren latent immer in Kaliningrad vorhanden, jedoch wurde innerhalb der Kaliningrader Gesellschaft nie so scharf diskutiert, wie gegenwärtig.
Persönlich habe ich die Germanisierungsdiskussion seit 1995 nur wahrgenommen, wenn sich Deutsche (insbesondere Heimweh-Deutsche) bei Besuchen in der Region oder in deutschen Medien zum Kaliningrader Gebiet äußerten. In meinem russischen Bekanntenkreis gab es diese Art Diskussionen nicht. Dies änderte sich aber seit Anfang 2016, als gesellschaftlich interessierte Kaliningrader sich stark in die Diskussion einbrachten.
Die jetzige Germanisierungs-Diskussion scheint mir durch zwei Extreme gekennzeichnet zu sein:
- Eine extrem loyale, sorglose Einstellung zur Thematik der Einflussnahme Dritter auf gesellschaftliche Entwicklungsprozesse in der Region,
- Eine extrem übersteigerte Deutung/Interpretierung von deutsch-orientierten Erscheinungen und Zuordnung als Element einer geistigen Beeinflussung der Kaliningrader Gesellschaft.
Eine sachliche Auseinandersetzung im Rahmen von Diskussionsclubs, Foren oder in Medien, wo sich beide Extreme treffen und sich gedanklich austauschen und annähern könnten, existiert gegenwärtig nicht und keine der beiden Seiten ist wohl daran interessiert. Die Auseinandersetzung (nicht selten unsachlich und mit bewusster Zuspitzung von Argumenten) findet öffentlich in den Medien (besonders Sozialmedien) statt. Insbesondere diejenigen, die durch mich in die zweite Gruppe eingeordnet wurden, sehen sich diskriminierender, verhöhnender, beleidigender Diskussion ausgesetzt.
Versuchen wir zu Anfang die Antwort auf zwei grundsätzliche Fragen zu finden:
- Was versteht die Kaliningrader Gesellschaft unter Germanisierung und wie äußert sich diese?
- Warum gibt es eine Germanisierungsdiskussion?
Als „Germanisierung“ empfindet man in der Kaliningrader Gesellschaft nach meinem Eindruck, folgende Formen:
- Umbenennung des Gebietes, der Stadt, der Städte im Kaliningrader Gebiet,
- Umbenennung von Straßen in der Stadt Kaliningrad mit altdeutschen Straßenbezeichnungen in deutscher Sprache,
- Aktivierung von Nazi-Schmierereien an Denkmälern und historischen Stätten,
- Propagierung der deutschen Kultur aus der Zeit vor 1945,
- Existenz von militärhistorischen Klubs zur Thematik „Deutschland im Zweiten Weltkrieg“,
- Korrekturen von Ausbildungsprogrammen in Bildungseinrichtungen (u.a. Kant-Universität) zugunsten deutscher Geschichte,
- Deutsche Bezeichnungen für Firmen, Kultureinrichtungen, Serviceeinrichtungen usw.,
- Verkauf von Waren des täglichen Bedarfs mit deutschen Bezeichnungen,
- Verkauf von Souvenirartikel (Geschirr, Geo-Karten, Postkarten) mit Königsberg-Motiven und Königsberg-Beschriftung.
Für die Beantwortung der zweiten zentralen Frage, warum es eine Germanisierungs-Diskussion in Kaliningrad gibt, möchte ich drei russische Regionen vergleichen:
Alle drei Regionen haben gemeinsam, dass
- es russische Regionen sind,
- sie geographische Randterritorien sind und
- „Dritte“ auf diese Regionen Anspruch erheben.
Die Kurilen gehören seit 1945, genau wie Kaliningrad, zu Russland. Die ehemalige Bevölkerung wurde komplett ausgetauscht – also ein idealer Start für die Adaptierung an Russland (Sowjetunion). In der russischen Gesellschaft hört man nicht, dass es auf den Kurilen durch die dortigen Einwohner eine „Japanisierungs-Diskussion“ gibt. Warum nicht? Vermutlich deshalb, weil die auf den Kurilen ansässige russische Bevölkerung in der japanischen Lebensweise, in der japanischen Kultur nicht das Vorbild für das eigene Leben sieht. Mit anderen Worten: die einheimische Bevölkerung ist zufrieden mit dem Status-Quo auf den Kurilen, mit dem persönlichen Lebensniveau.
Die Krim gehört seit 2014 wieder zur Russischen Föderation. 97 % aller Referendum-Teilnehmer haben für den Beitritt gestimmt. Eine „Ukrainisierungs-Diskussion“ gibt es nicht. Warum gibt es sie nicht? Weil diese einerseits natürlich im Widerspruch zu den Ergebnissen des Referendums 2014 stehen würde und andererseits die Bevölkerung sieht, dass es im persönlichen Leben Fortschritte gibt, sich Russland um seine Halbinsel kümmert, viel unternimmt, um das Lebensniveau an das, der anderen benachbarten Regionen anzupassen. Dem kommt zugute, dass die Krim-Bewohner bis 2014 emotional fühlten, dass sie von ihrem Staat Ukraine vernachlässigt werden. Der Bevölkerung ging es wirtschaftlich schlechter als der Bevölkerung anliegender Regionen/Staaten und somit war der Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Jahre 2014 relativ einfach. Gründe liegen also wieder in erster Linie im persönlich empfundenen Lebensniveau, der persönlichen Zufriedenheit mit der Lebenssituation der einheimischen Bevölkerung.
Somit kommen wir in der Germanisierungs-Diskussion im Kaliningrader Gebiet – die allerdings noch keinen bedrohlichen Massenumfang angenommen hat - logischerweise zu dem Umkehrschluss, dass die einheimische Bevölkerung mit dem eigenen Lebensniveau im Kaliningrader Gebiet nicht zufrieden ist, sich vom russischen Mutterland vernachlässigt, mit seinen Problemen nicht verstanden fühlt.
Wobei sich, nach meinem Kenntnisstand, das Lebensniveau in Kaliningrad nicht negativ vom Lebensniveau im russischen Mutterland unterscheidet (eher im Gegenteil) und es seit 1991 eine sehr gute Entwicklung gegeben hat. Aber der Kaliningrader Bürger schaut bei der Beurteilung seiner persönlichen Lebenssituation nicht zum russischen Mutterland um festzustellen: „Ach, was geht es mir gut in Kaliningrad“, sondern dorthin, wo es den Menschen noch besser geht. Eine vergleichbare Situation gab es 1989/90 in der DDR. Das Lebensniveau in der DDR war das höchste innerhalb des sozialistischen Lagers. Trotzdem hat sich kein DDR-Bürger damit getröstet, dass es in den anderen sozialistischen Ländern „noch schlechter“ war, sondern man hat dahin geschaut, wo es noch besser ist. Natürlich wurde dieser Prozess aktiv durch den Westen und die Propagierung der westlichen Lebensweise begleitet. Und dies führte dann zu den sehr schnellen Ereignissen 1989/90, verbunden mit günstigen äußeren Umständen (schwache Sowjetunion, Krise in allen anderen sozialistischen Ländern).
Persönlich habe ich den Eindruck, dass der einfache Kaliningrader Bürger nur von einer Stadt träumt, die den Charme einer „Königsberger Postkarten-Idylle“ hat. Viele schwärmen von dem schönen Königsberg, aber niemand hat diese Stadt je persönlich gesehen. Man kennt dieses schöne, gemütliche Königsberg nur von Postkarten und schlussfolgert daraus, dass diese Stadt wohl eine Art deutsches Paradies war. Mit anderen Worten: Es ist eine Fassaden-Diskussion, denn was sich in Königsberg hinter den Fassaden abgespielt hat – darüber spricht niemand. Man bewundert die schön restaurierte Stadt Gdansk (Danzig). Aber man sieht auch hier nur die Fassaden und weiß nicht, wie das Leben hinter diesen Fassaden ist. Und Ähnliches urteilt man auch über Deutschland. Die Masse derjenigen, die über „Germania“ in Kaliningrad schwärmt, wünscht sich eigentlich nur eine schöne, bequeme Stadt. Hätte die Kaliningrader Gesellschaft die Möglichkeit, sich über das reale Leben in Deutschland zu informieren, würden die Diskussionen über das „gelobte Land“ viel nüchterner ausfallen.
Uwe Niemeier
… ach, ehe ich es vergesse: Vergessen Sie nicht, in der Nacht vom 15. zum 16. wach zu bleiben. Da schaltet sich nämlich unsere Umfrage genau um 0.00 Uhr ab und eine Sekunde später schaltet sich eine neue Frage zu, wo wir sehen wollen, wie gut Sie sich in Russland oder Kaliningrad auskennen. Sollten Sie aber diesen aufregenden Moment verpassen, so haben Sie bis zum Monatsende auch noch Zeit, Ihr Wissen über das kleine oder große Russland zu testen.
- Die Diskussion um die Germanisierung Kaliningrads ist …
dringend nötig, um einen Maidan zu verhindern - 50
ein normaler gesellschaftlicher Gedankenaustausch - 82
nötig, aber übertrieben - 19
völlig überzogen und unnütz - 128
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