Deutscher Diplomat im Aufmerksamkeitsfocus der russischen Medien

Wie bereits gestern gemeldet, werden Untersuchungen im Deutsch-Russischen Haus in Kaliningrad durchgeführt. Anlass hierzu war die aggressive Rede eines deutschen Diplomaten aus dem Generalkonsulat in Kaliningrad.
Nach der vorzeitigen Abberufung des für Kultur- und Pressearbeit im deutschen Generalkonsulat Kaliningrad zuständigen Vizekonsuls Daniel Lissner, informierte das Regionalportal „rugrad.eu“ als erstes über einige Einzelheiten und Hintergründe. Am gestrigen Tag begann, wie nicht anders zu erwarten, die Welle weiterer Veröffentlichungen in den russischen Regionalmedien.
Kernaussage des deutschen Diplomaten, der nun durch die Medien zitiert wird ist:
Anlass für die Rede des deutschen Diplomaten war eine Gedenkveranstaltung anlässlich der Deportation von Russlanddeutschen während des Großen Vaterländischen Krieges (Zweiter Weltkrieg).
„Für uns war dieser Auftritt einfach nur ein Schock“, - so der Direktor des Deutsch-Russischen Hauses Andrej Portnjagin. „Wir wussten einfach nicht, wie wir reagieren sollten. Den Diplomaten vor dem Publikum, mitten in seiner Rede zu unterbrechen, war natürlich nicht möglich. Obwohl es zu bemerken war, dass keinem der Versammelten diese Rede gefallen hat und sich unter den Anwesenden Unruhe ausbreitete. Das Publikum war empört, dass der deutsche Diplomat diesen symbolischen Ort des Deutsch-Russischen Hauses für seinen Auftritt mißbrauchte. Die Erregung war so groß, das man sogar eine zeitlang vergessen hatte, warum wir uns überhaupt versammelt hatten“, - so der Direktor des Hauses.
Im weiteren, so Andrej Portnjagin, kamen Vertreter aus dem Justizministerium und erklärten, dass eine Reihe von Briefen von Teilnehmern der Veranstaltung, aber auch von teilnehmenden Vertretern aus der Gebietsregierung eingegangen waren und sie nun entsprechende Untersuchungen führen müssen, um festzustellen, ob das Deutsch-Russische Haus seinen Status verletzt habe und zukünftig den Titel „Ausländischer Agent“ führen muss. Die Untersuchungen halten gegenwärtig an und es droht dem Deutsch-Russischen Haus eine Strafe von 300.000 Rubel (rund 5.000 Euro). Dies wäre ein herber Schlag für die Einrichtung, die sich nur aus Spendengeldern und Zuwendungen aus dem Budget des Innenministeriums der Bundesrepublik Deutschland finanziert.
Der Direktor des Hauses hat gegenwärtig noch keine Vorstellungen, wie man ähnliche Vorfälle zukünftig verhindern kann. Immerhin sind Versammlungen und Auftritte in dieser immer offenen und gastlichen Stätte eine Frage des Vertrauens, welches in diesem Fall durch einen offiziellen Vertreter des deutschen Staates missbraucht wurde.
Das Kaliningrader Internetportal „NewsBalt“ versuchte mit dem Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Kaliningrad Dr. Dr. Rolf Krause ein Gespräch zu führen. Dieser lehnte aber jeglichen Kommentar ab und informierte nur, dass „alle notwendigen Gespräche mit den betroffenen Personen bereits geführt worden sind.“
Dem Informationsportal „NewsBalt“ liegt eine Tonaufzeichnung der Rede des Vizekonsuls Daniel Lissner vor. Das Portal hat die Rede des deutschen Diplomaten im vollen Wortlaut auf Russisch veröffentlicht. Wir haben diese Rede rückübersetzt in die deutsche Sprache und hoffen auf möglichst wenige Übersetzungsvariationen:
Teure Freunde,
Erinnerung und Trauer sind wichtig im Zusammenhang mit der vor 73 Jahren stattgefundenen Deportation, legitimiert durch einen Ukas der die Unterschrift des Genossen Kalinin trägt, dessen Name verbunden ist mit menschlichen Tragödien. Und wir müssen uns fragen, welche Bedeutung dieses Ereignis für uns heute hat.
Von allen Staaten haben das Deutsche Reich und die Sowjetunion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das größte menschliche Leid hervorgerufen. Das Deutsche Reich hat schwerste Verbrechen verübt und trägt eine große Schuld.
Nach der sogenannten Machtübernahme im Jahre 1933 erfolgte eine Gleichschaltung der Massenmedien, eine Einschränkung der Bürgerrechte, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, der Freiheit des Wortes und die Isolierung Andersdenkender, gefolgt von Terror.
Es folgte eine Manipulierung von Gerichtsverfahren, langjährige Lagerhaftstrafen, oftmals mit tödlichem Ausgang. Weiterhin fand die planmäßige Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen, Andersdenkender und sogenannter fremdländischer Menschen, Verräter und unwerten Lebens statt. Deutschland wurde zu einem Polizeistaat. Zuerst wurde Gewalt im Inneren des Landes angewandt, welche sich dann auch nach außerhalb ausweitete.
Anfänglich erfolgte die sogenannte Befreiung der Mitbürger in Österreich, im Sudetengebiet und danach in der ganzen Tschechoslowakei, weiter in Danzig, dann in Schlesien und letztendlich in ganz Polen, gefolgt von Vereinnahmungen im Elsass und Lothringen, dann in ganz Frankreich. Echte und angebliche deutsche Mitbürger fanden sich überall und waren Anlass für die Intervention, auch in der Sowjetunion. Angriff, Krieg, Verbrechen, Genozid – und letztendlich die Selbstvernichtung – all das ist für immer mit dem Deutschen Reich verbunden.
Als Deutscher sind mir all diese Verbrechen peinlich – auch noch am heutigen Tag.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der Prozess der Aussöhnung mit den Nachbarn beginnen. Die Leiden der eigenen Bevölkerung wurden nur selten thematisiert, wenn denn überhaupt.
Das betrifft auch die Deportation der Russlanddeutschen und der Reichsdeutschen. Große Gebietsverluste fanden statt.
In 50 Jahren zielgerichteter Arbeit zur Wiedergutmachung, der Vereinigung der BRD mit der DDR, welche dank der Sowjetunion erfolgte, die Errichtung einer beispiellosen europäischen Staatsordnung, der Europäischen Union, wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass Deutschland zu einem zuverlässigen Partner in der internationalen Arena wurde.
Dies war möglich, weil Deutschland in einem schwierigen Prozess die eigene Schuld und Verbrechen analysiert hatte. Anfänglich fand dies mit Hilfe der Verbündeten, vor allem der USA, Großbritanniens und Frankreichs statt. Aber dann zu Beginn der 50er Jahre, aber vor allem in den 70er Jahren, hatte die Bundesrepublik Deutschland begonnen, planmäßig die schmerzhaften dunklen Flecken der eigenen Geschichte aufzuarbeiten. Das war notwendig, aber kein selbstverständlicher Prozess. Zu oft gab es die Versuchung eigene Unzulänglichkeiten und Fehler zu verstecken. Hier sind sich Staaten und Menschen sehr ähnlich.
Zurückblickend kann ich als Deutscher mit voller Überzeugung sagen, dass ich stolz bin auf das, was in den letzten 50 Jahren erreicht wurde. Ich bin stolz auf das Umdenken des Landes zu seiner Geschichte und das Deutschland daraus die richtigen Schlussfolgerungen gezogen hat.
Werte Gäste,
Weshalb erzähle ich Ihnen das alles? Eben weil die Frage steht, ob es möglich ist, dass die Deportationen auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion, sich heute in Russland wiederholen können? Gestatten Sie mir offen zu antworten.
Auch die Sowjetunion muss die Verantwortung für die Vielzahl von Verbrechen gegen die Menschheit in ihrer 73jährigen Geschichte tragen. Es reicht zwei Beispiele zu nennen – die Hungersnot und die Deportation. Die Sowjetunion hat zu Anfang des Zweiten Weltkrieges einen Pakt mit dem deutschen Faschismus geschlossen und begann einen gemeinsamen Angriff auf Polen. Stalin und seine Mitgenossen haben im Verlaufe von Jahrzehnten das Land terrorisiert und im Ergebnis der Gewalt kamen Millionen Menschen ums Leben.
Nach einer kurzen Phase des Nachdenkens in den 90er Jahren, begann man wieder über die dunklen Seiten in der russischen Geschichte zu schweigen. Zu einer Zeit, als die Völker im Zentrum Europas – Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ukraine, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Moldawien, Rumänien, Bulgarien und das vereinte Deutschland, sich über die errungene Freiheit freuten, haben hochgestellte russische Politiker nicht den Zweiten Weltkrieg als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet, sondern den Zerfall der Sowjetunion.
In was für einem Zustand befindet sich das Land?
Im Inneren des Landes werden immer mehr die Menschenrechte eingeschränkt, die Versammlungsfreiheit, die Freiheit des Wortes, es erfolgt eine Isolation, eine Stigmatisierung Andersdenkender und eine Ausweitung des Einflusses von Sicherheitsdiensten. Im Verlaufe eines halben Jahres staatlicher Propaganda in einem unvorstellbaren Ausmaß, hat man die Bevölkerung durch Verunglimpfung, Falschinformationen, Halbwahrheiten und einfach nur Lügen in einen Hurra-Patriotismus versetzt.
Wer eine andere Meinung zum Ausdruck bringt, riskiert für viele Jahre eingesperrt zu werden. Wiederum herrscht Schrecken und Repression. Welche Wortwahl gibt es durch Politiker und Massenmedien? Die gleiche wie in der Sowjetunion. Fünfte Kolonne, ausländische Agenten, Diversanten, Vaterlandsverräter, Oppositionäre, und die ganze Ukraine sind Faschisten. Und hierbei arbeiten Neo-Bolschewiken und faschistische Elemente gemeinsam in der russischen Politik und Wissenschaft. Gleichzeitig suchen sie Methoden der Zusammenarbeit mit europäischen Extremisten.
Unlängst hat der Vorsitzende der Liberaldemokratischen Patei Russlands und Leiter der LDPR-Fraktion in der Staatsduma vorgeschlagen, die politischen Parteien in Russland zu verbieten. Nach seinen Worten soll das Land zu einer Monarchie werden. Gestatten Sie mir zu zitieren:
„Die Demokratie ruiniert uns. So lange wir Demokratie haben, so lange werden wir vorwärts schleichen. Um nicht zu schleichen, sondern voranzuschreiten, müssen wir uns von der Demokratie trennen und übergehen zu einer imperialen Form der Führung des Landes. Alle Parteien müssen verboten werden. Bei uns muss eine Monarchie herrschen – eine gewählte, 5-6tausend Menschen sollen sich versammeln, die besten Leute, und den Imperator wählen.“
So sieht das liberale Russland heute aus, meine Damen und Herren.
Wer gerechter Weise andere kritisiert, zum Beispiel die zweifelhafte Rolle von Bandera, muss sich fragen, warum diese Stadt (Anm. UN: gemeint ist Kaliningrad) immer noch den Namen eines Genossen trägt, welcher unter anderem Verantwortung trägt für die Verbrechen von Katyn und auch für die Deportationen.
Die Schlussfolgerung: Die Rechte einzelner Leute werden immer mehr eingeschränkt. Das Individuum zählt nichts. Kollektiv, Staat, patriotische Gesellschaft ist alles. Wobei die Rede in erster Linie um die Herrschaft der gegenwärtig existierenden Cliquen geht.
Die heutige Führung im Kreml hat sich von Europa abgewandt. Neue Partner sind vor allem Weißrussland und Kasachstan, zentralasiatische Staaten und China. Im internationalen Maßstab treibt sich Russland immer mehr in die Isolation. Und im Inneren des Landes werden die Rechte des einzelnen Menschen weiter eingeschränkt.
Wer sich davor retten möchte, kann dies nur tun in dem er auswandert. Zehntausende Russlanddeutsche und andere Minderheiten nutzen diese Möglichkeit. Aber auch die Familienmitglieder der herrschenden Elite und von Beamten ziehen es vor, ihren ständigen Wohnsitz im Ausland zu nehmen, wie zum Beispiel die Tochter des Präsidenten, die Familie des Außenministers und auch die Familie des Bürgermeisters dieser Stadt (Anm. UN: gemeint ist der Bürgermeister von Kaliningrad).
Das Land befindet sich auf dem Weg von einer gelenkten Demokratie zu einem autoritären Staat und wenn es so weitergeht zum Totalitarismus. Eine Deportierung ist gegenwärtig nicht sichtbar, aber in diesen Wochen und Monaten werden hierfür alle geistigen Voraussetzungen geschaffen.
Deutschland hat versucht, nach Beendigung des Kalten Krieges mit Russland gute und enge Beziehungen herzustellen. Im Verlaufe von zwei Jahrzehnten hat dies eine Reihe von Erfolgen im wirtschaftlichen Bereich, der Wissenschaft und Kultur gebracht. Deutschland ist außerordentlich besorgt über die innere Entwicklung des Landes, wird sich aber prinzipiell nicht in die inneren Angelegenheiten Russlands einmischen.
Jedoch nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine fand eine Änderung der Denkweisen statt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
In Osteuropa stoßen wir auf eine der schwersten außenpolitischen Krisen seit der Beendigung des Kalten Krieges. Die Annexion der Krim durch Russland ist ein schreiendes Beispiel der Verletzung internationalen Rechts, welches wir in dieser Form äußerst selten finden. Der Überfall Russlands auf die Ostukraine brachte eine Vernichtung materieller Werte, von Menschenleben und Vertrauen, welches in Jahrzehnten aufgebaut wurde. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine vernichtet auch die eigenen Kinder. Nach Angaben vom Komitee der Soldatenmütter Russlands, sind in diesem rechtlosen Kampf schon 400 ihrer Söhne ums Leben gekommen.
Deshalb muss eins klar sein: der Friede in Europa ist unsere höchste Errungenschaft. Deshalb sind die Botschaften des vereinigten Europas an Russland eindeutig – erkennt Eure Verantwortung und beendet diese Torheit.
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Kommentare ( 1 )
Dietrich Völker
Veröffentlicht: 17. November 2014 14:34 pmNa ja, schon heftig, was da gesagt wurde.
Andererseits, wenn Putin den HItler-Stalin-Pakt auf eine Weise gutheisst....
Und ich kenne auch Leute, die heftigst unter Stalin und seinen Schergen leiden mussten.
Da stelt sich immer die Frage, ob man wegschauen soll oder darf.
Der Anschluss der Krim ist m.E. noch frevelhafter als die Annexion des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich. Immerhin war die RF mal ein Garant fuer die Unverletzlichkeit der Ukraine 1994, als die ihre Atomwaffen aufgab. Das Selbstbestimmungsrecht der Voelker zu sichern, waere durchaus auch auf andere Weise machbar gewesen, als Soldaten ohne Hoheitszeichen zu senden, was nach Haager Landkriegsordnung zur standrechtlichen Erschiessung der Betroffenen fuehren darf.
Aber, ich verstehe, dass die gefaehrlichen Aktivitaten des russ Praesidenten Balsam auf die geknechtete russische Seele sind.