Außenminister Lawrow macht sich Sorgen um Königsberger Identität


Am Dienstag hielt sich der russische Außenminister Lawrow in Kaliningrad auf. In der, nach dem deutschen Philosophen Kant benannten Kaliningrader Universität, äußerte er sich zu einer ganzen Reihe aktueller Themen. Ein aktuelles Thema, durch die Kaliningrader Gesellschaft mit dem Begriff „Germanisierung“ umschrieben, nennt der russische Außenminister „Königsberger Identität“.
Nach dem Erscheinen der ersten Informationen über den Besuch von Sergej Lawrow in Kaliningrad, hatte ich ein interessantes Gespräch in der Sauna – nein, nicht in der morgendlichen Albatros-Sauna, sondern in einer anderen … wir haben mehrere Saunen in Kaliningrad.
Bevor ich zu den Überlegungen meines Gesprächspartners komme, vielleicht für diejenigen, die sich in der langjährig aktuellen Thematik nicht auskennen, eine kurze Zusammenfassung.
Kaliningrad ist seit 1946 eine russische Stadt. Stalin hatte den entsprechenden Ukas unterzeichnet und Stadt und dazugehöriges Gebiet zum Bestand der Sowjetunion hinzugefügt – eine Handlung, resultierend aus dem Ergebnis des Zweiten Weltkrieges.

Grafik: Kaliningrader Gebiet in Europa
Bei der Gelegenheit erhielten Stadt und Gebiet den Namen des sowjetischen Politikers Kalinin, der just zu diesem Moment verstarb. Es wurden alle Gassen, Straßen, Plätze und sonstiges Namentliche mit sowjetischen Bezeichnungen versehen.
Video: Motive der Stadt Kaliningrad
Von 1946 bis 1990 unternahm die neue Bevölkerung von Stadt und Gebiet vielfältige Anstrengungen, um die Folgen des Krieges zu liquidieren. Man baute eine sowjetische Stadt auf. Die Stadt wurde vollständig sowjetisiert. Eine deutsche Bevölkerung gab es nicht mehr. Es gab auch nichts und niemanden, der irgendwie über den Status der Stadt, den Namen der Stadt, Firmenbezeichnungen diskutierte. Man lebte in einer gesellschaftlich ruhigen, geordneten sowjetischen Stadt und niemand ließ Zweifel aufkommen, dass es eine sowjetische Stadt ist.
Ab 1990 änderte sich dies mit dem Einzug der neuen Freiheiten im Zuge der Gorbatschow-Perestroika. Da gab es mit einem mal Personen, die zu Kaliningrad Königsberg sagten, es entstanden russische Firmen und Geschäfte mit deutscher Bezeichnung. Es tauchten alte deutsche Straßenschilder auf und es tauchten Leute, Russen und Ausländer auf, die das Gebiet mit Deutschen besiedeln, die aus dem Gebiet Kaliningrad die „Fünfte Baltische Republik“ machen wollten.
Bürger der Bundesrepublik Deutschland mischen sich regelmäßig in die inneren Angelegenheiten der Russischen Föderation zum Kaliningrader Gebiet ein. Sie charakterisieren den sowjetischen Politiker Kalinin und machen Stadt und Gebiet Vorschriften, dass sie nicht den Namen eines Verbrechers und Mörders zu tragen habe. Die Stadt gehört nach wie vor zu Deutschland und hat den Namen Königsberg zu tragen.
Video: Junger deutscher Revanchist erklärt, wo sich der Osten Deutschlands befindet
Und es gibt seit diesem Zeitpunkt vielfältige Aktivitäten, um eine „Königsberger Identität“ zu entwickeln, d.h. den Menschen zu vermitteln, dass dies historisch deutscher Boden ist und man sich doch der Pflege der Historie widmen sollte. Geschickt wird durch „Interessierte“ suggeriert, dass Kaliningrad Russland, aber Königsberg Deutschland ist. Man nutzt die veralteten Stereotypen, die bei den Russen über Deutschland vorhanden sind und hofft auf eine wachsende Anzahl von, insbesondere jungen Russen, die bereit ist, den territorialen Status Quo Kaliningrads, gegen Milch, Honig und gebratene Tauben zu verändern.
Video: Ostpreußen-Nostalgiker informieren über den geplanten Verkauf von Kaliningrad
Es werden zielgerichtet und immer wieder Informationen verbreitet, dass irgendein sowjetischer General im Auftrage von Gorbatschow versucht haben soll, „Königsberg“ und das dazugehörige Gebiet an Deutschland für ein paar Millionen Euro, äh … nein, damals waren es noch Deutsche Mark, zu verschachern. Nur die „Verräter Kohl und Genscher“ – so bezeichnen Deutsche ihre deutschen Politiker, haben dies verhindert.
Und selbst eindeutige Äußerungen von Putin über territoriale Fragen werden immer wieder verfälscht und in ihrer Aussage völlig entstellt, ja regelrecht falsch wiedergegeben.
Video: Putin zum territorialen Status Quo der Region Kaliningrad
Es werden Ostpreußen-Facebook-Gruppen gegründet, es gibt „Ostpreußen Stammtische“, es gibt verschiedenste Organisationen, wo offen und völlig ungehindert die Rückgabe der geraubten deutschen Gebiete gefordert wird. Und niemand hindert diese Personen an ihrer extremistischen Tätigkeit – zumindest solange dies im Ausland passiert. In Russland wartet allerdings seit Mitte 2020 der Staatsanwalt auf diese Leute – egal welcher Nationalität sie sind.

Grafik: Russische Verfassung zur territorialen Unverletzlichkeit
Kurz – man versucht die Menschen ihrer russischen Stadt zu entfremden und nutzt dabei auch den Umstand, dass Kaliningrad eine Exklave ist, weit entfernt vom Mutterland.
Viele Kaliningrader waren in ihrem Leben nie im russischen Mutterland, aber bereits …zig Mal in irgendeinem Land der Europäischen Union. Da bleiben prägende Erlebnisse, positive Erlebnisse, denn nicht alles ist ideal in Kaliningrad und bei Reisen in ein anderes Land, lässt man sich gerne von Äußerlichkeiten, von schönen Fassaden beeindrucken. Hinter die Fassaden schaut kaum ein Russe.
Erst in den letzten ca. zehn Jahren hat Russland erkannt, welche strategische Bedeutung die 15.000 Quadratkilometer russischer Erde für die Sicherheit Russlands und seiner Bevölkerung hat. Und in den letzten Jahren, ca. seit 2014 wurde begonnen, mit äußerster Intensität Kaliningrad zu entwickeln, hier eine Stadt, ein Gebiet zu schaffen, welches Anziehungskraft hat und nicht Abstoßungskräfte anzieht.
Lawrow äußerte sich vor Studenten und Lehrern der Universität mit den Worten:
„Wir wissen, dass einige unserer ausländischen Partner, Ideologen, versuchen, eine sogenannte „Königsberger Identität“ hier zu züchten.“
Video: Deutsches Generalkonsulat in Kaliningrad
Die „ausländischen Partner“ nannte der Minister nicht beim Namen – wer also erwartet hätte, dass der Diplomat konkret Deutschland nennt, wurde enttäuscht. Diese Schlussfolgerung überlässt der Minister den Journalisten, Bloggern und sonstigen Politik-Interessierten.
Aber interessant ist, dass zum ersten Mal auf föderaler Ebene das Thema „Germanisierung“ angesprochen wurde.
Bisher gab es nur Aktivitäten auf regionaler Ebene. Es hat lange gedauert, bis einige gesellschaftlich besorgte Bürger die Kaliningrader Verantwortlichen in der Gebietsregierung, der Stadtverwaltung, der Staatsanwaltschaft aufrütteln konnten, damit diese gegen die End-Russifizierung der Stadt vorgehen. Die Ereignisse der letzten Monate zeigen, dass die Verantwortlichen nun endlich aktiv geworden sind, das Aufräumen begonnen hat.
Lawrow hat nun weitere, föderale Impulse ausgesendet und damit kundgetan, dass Russland es nicht zulassen wird, dass das Kaliningrader Gebiet und deren Bevölkerung End-Russifiziert, einer ideologischen Kopfwäsche unterzogen wird. Der Minister äußerte, dass man keine ideologischen Provokationen in der Region dulden werde.
Auch der russische Präsident Putin äußerte sich, wenn auch nicht direkt auf Kaliningrad bezogen, zur „Verwestlichung der russischen Gesellschaft“. In der, vor rund einem Monat veröffentlichen Strategie der Nationalen Sicherheit Russlands, forderte Putin dazu auf, die Verwestlichung zu beenden. Sie stelle eine Gefahr für die russische Kultur und Souveränität dar.
Nun aber zu meinem Gespräch in der Sauna.
Mein Gesprächspartner stellte mir die Frage, ob ich denn weiß, wann die Thematik der Germanisierung im Kaliningrader Gebiet begann. Ich sagte ihm, dass ich vermute, dass dies ab 1990, mit Beginn der neuen großen Freiheit war.
Er stimmte mir im wesentlichen zu, meinte aber, dass er bereits das Jahr 1988 nennen würde. Da waren wohl schon einige westdeutsche Banker nach Kaliningrad gereist, um zu schauen, was man denn hier mit deutschem Geld machen könnte.
Er fragte weiter, wer denn diese Germanisierungs-Diskussion begonnen haben könnte?
Ich vermutete, dass es wohl nicht die Kaliningrader waren, die die Stadt und das Gebiet seit 1946 aufgebaut hatten, sondern diejenigen, die ab 1991 in das Gebiet zugezogen sind – viele wohl in der Hoffnung, dass das Gebiet, früher oder später, an Deutschland übergeben wird und mit der Übersiedlung wollte man sich ein Plätzchen im zukünftigen deutschen Königsberg sichern. Damit Deutschland sie nicht vergisst einzubürgern, vertreten diese nun die Interessen Deutschlands und helfen, das Gebiet zu germanisieren.

Grafik: Lieber ein erstklassiger Russe, als ein drittklassiger Deutscher
Mein Gesprächspartner gab mir auch hier im wesentlichen Recht, ergänzte aber einen interessanten Gedanken.
Als die ganze Übersiedlung begann, also Anfang der 90er Jahre, ging man in Deutschland und nicht nur in Deutschland, davon aus, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion auch Russland als Föderation zerfallen wird. Wir wissen heute, dass diese Hoffnung fast in Erfüllung gegangen wäre.
Video: Putin zum Zustand des Landes Ende der 90er Jahre
Wenn das Gebiet mit Deutschen, also RusslandDeutschen besiedelt wird, ist es ein selbstlaufender Prozess, dass dieses Gebiet automatisch und ohne wesentlichen Widerspruch durch andere Staaten, an Deutschland übergeben wird – immerhin ist es ein Gebiet mit mehrheitlich deutschstämmiger Bevölkerung.
Nun sei daran erinnert, dass Deutschland seine Migrationspolitik ab ca. 1993 zur Heimholung der RusslandDeutschen geändert hatte und die Auswanderer mit allerlei Versprechungen, materiellen und finanziellen Hilfsleistungen überzeugt wurden, sich in Kaliningrad anzusiedeln.
Dieser Plan der Neuausrichtung der Migrationsströme, ging jedoch aus drei Gründen nicht in Erfüllung.

Grafik: Bevölkerungsstruktur in Kaliningrad
Zum einen war Kaliningrad für die RusslandDeutschen doch nicht so interessant, zumal das wirkliche Deutschland ja schon in Sichtweite war. Man reiste also nach einem kurzen Transitaufenthalt weiter nach Deutschland. Heute leben nur rund 8.500 RusslandDeutsche in Kaliningrad, weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung.
Der zweite Grund war, dass es, trotz aller Unordnung und Verantwortungslosigkeit in den 90er Jahren, den Verantwortlichen in Russland gelungen war, die Gründung einer „Fünften Baltischen Republik“, mit überwiegend deutschstämmiger Bevölkerung auf dem Gebiet Kaliningrad, zu verhindern. Das nahm dann einigen Zugereisten, aber auch Deutschland selber, einige Hoffnungen.
Der dritte Grund ist Putin, der seit dem Jahre 2000 eindeutig zu verstehen gab, dass der Ausverkauf Russlands beendet ist. Es dauerte noch ein wenig, bis sich auch Deutschland überzeugt hatte, dass Putin keinen Wodka trinkt, keine Orchester dirigieren und auch Frau Merkel nicht in den Po kneifen will.
Video: Jelzin trinkt, Jelzin dirigiert, Jelzin kneift zwei Frauen
Somit änderte sich die Situation grundlegend und Deutschland richtete sich auf einen langfristigen Prozess der Germanisierung des Kaliningrader Gebietes ein.
… äh, es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass ich in der Sauna saß und meinem Gesprächspartner aufmerksam zuhörte. Ich schwitzte unheimlich … und das nicht nur, weil die Temperaturen in der Sauna sich der 100-Grad-Marke näherten.
Plötzlich wurde bekannt, dass Deutschland mit Russland Gespräche über die Einrichtung eines Generalkonsulats in Kaliningrad führt. Russland erklärte sich einverstanden und im Jahre 2004 kam das sogenannte Vorkommando nach Kaliningrad. Man suchte ein passendes Gebäude für das Generalkonsulat, bevorzugt natürlich Königsberger Bausubstanz. Man fand dieses Gebäude und richtete sich ein.
Und dann schaute mir mein Gesprächspartner ganz scharf in die Augen und fragte: „Und was glaubst Du, ist das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Kaliningrad ein Generalkonsulat oder vielleicht doch eher ein Koordinierungszentrum für die Germanisierung des Kaliningrader Gebietes?“
Ärztliche Empfehlungen lauten, dass eine Saunasitzung nicht länger als zehn Minuten dauern sollte. Ich war froh, dass gerade in diesem Moment die zehn Minuten um waren und ich die Sauna fast fluchtartig verlassen konnte, um meinen Kopf in einem kalten Bad wieder auf Normaltemperatur zu bringen.
Video: Erichowitsch unter Eiswasser nach der Sauna
Ein wenig später, ich war schon wieder zu Hause, saß ich bei einer Tasse Tee vor dem Fernseher, schaltete diesen ein und empfing die Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks MDR. Das ist der Sender, der für die Nachrichtenverbreitung des Gebietes verantwortlich zeichnet, welches sich bis 1990 noch Ostdeutschland, alternativ auch sowjetische Besatzungszone nannte. Und etwas nachdenklich versuchte ich mir die Frage zu beantworten, warum aus Ostdeutschland plötzlich Mitteldeutschland wurde und wo denn nun der Osten Deutschlands ist.
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Kommentare ( 2 )
Eckart
Veröffentlicht: 22. August 2021 09:06 pmMitteldeutschland schließt Gebiete ein die sich zwischen Norddeutschland und Süddeutschland befinden, die man also quasi entlang des Mittelgebirge Rückens vom Rhein bis zur Oder findet.
Der MDR trägt eigentlich eine irreführende Bezeichnung, denn er deckt nur Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ab. - Bis zum Kaliningrader Gebiet dürfte er bestimmungsgemäß eigentlich nicht reichen.
Anton Amler
Veröffentlicht: 22. August 2021 13:48 pmExclaven haben es so an sich - Mutterländer bestehen auf ihren vermeintlichen Rechten, die Gastländer ebenso.
Ich kenne das noch aus meinem früheren Leben und den Problemen , wenn ich mit meinem Flieger erst nach Marokko musste, um nach Gibraltar zu dürfen, obwohl Spanien gegenüberliegend ebenfalls zwei Exclaven betreibt.
Mich hat nur die Feststellung verwundert, daß Russland erst seit ca 10 Jahren die reale Bedeutung von Kaliningrad begriffen haben soll, obwohl es am Ussuri und auf den Kurilen durchaus die Bedeutung von Grenzgebieten erkannte.
Kaliningrad ist ein Außenposten, wie beispielsweise Hawaii, wo die Ami`s, noch vor der Besitzname, mit brachialer Gewalt völkerrechtswidrig gegen die einheimische japanische Bevölkerung vorging, nur weil sie dort, auf fremden Territorium, angegriffen worden waren.
Warum sollte Kaliningrad nicht in gleicher Weis Flugzeugträger sein, vollgepackt mit allen Mitteln zur Verteidigung des Vaterlandes*
*Begriff aus deutschem Sprachgebrauch getilgt
Uwe Erich Niemeier
Veröffentlicht: 22. August 2021 13:54... leider ist es so, dass erst ab ca. 2010 erkannt wurde, dass Kaliningrad wohl wirklich eine geopolitisch und militärpolitisch besondere Rolle für die Sicherheit Russlands spielt. Bis 2010 hatte Russland das Gebiet fast völlig entmilitarisiert. Hier waren nur noch sehr wenige Einheiten stationiert, die sich eigentlich nur mit Grenzschutz beschäftigten. Erst im Jahre 2014 wurde dann real begonnen, über "Strukturreformen" aller Art im Kaliningrader Gebiet nachzudenken und dann auch umzusetzen. Wir sind noch lange nicht fertig mit dieser Aufgabe.