Deutschland im August 2022 – Hallo und Guten Tag Deutschland


Der Monat August ist ein herrlicher Monat. Ich nutze diesen, seit vielen Jahrzehnten, um nach Deutschland zu reisen, meine Mutter wiederzusehen und mich ein wenig umzuschauen, was es denn Neues in dem Land gibt, welches ich 1993 verlassen habe.
Die diesjährige Reise war mit Schwierigkeiten verknüpft – Sanktionen. Und so konnte ich nicht mehr von Kaliningrad nach Deutschland fliegen, sondern musste auf die klassische Variante zurückgreifen. Ich fuhr mit dem Bus von Kaliningrad nach Gdansk, um von dort mit dem Flieger nach Deutschland zu kommen.
Eigentlich ist die Busfahrt angenehm. Ich hatte mich in der Vergangenheit, als es keine Flugverbindung von Kaliningrad mit Deutschland gab, daran gewöhnt. Drei Stunden reine Fahrzeit und eine Stunde Grenzabfertigung auf beiden Seiten. Ich hatte mir immer Arbeit mitgenommen, so dass die Zeit effektiv durch mich genutzt wurde.
Diesmal sorgten die polnischen Grenzbeamten dafür, dass ich noch mehr Zeit zum effektiven Arbeiten hatte. Sie kontrollierten nicht eine Stunde, sondern drei Stunden, wir fuhren also nicht in vier Stunden nach Gdansk, sondern in sieben Stunden und viele der Busreisenden verpassten ihren Flieger. Ich natürlich auch.
Ich machte die Bekanntschaft mit einer Frau und ihrer Tochter. Sie hatten die Oma in Kaliningrad besucht und fuhren jetzt wieder nach Hause, nach Deutschland. Es flossen ein paar Tränen bei der kleinen Lena, denn sie wollte unbedingt zu ihrem Papa. Aber das ging nun mal nicht so schnell.
Wir schafften es, die Weiterreise zu organisieren und fuhren mit einem Bus von Gdansk nach Berlin – schon nach 11 Stunden waren wir am Berliner ZOB. Wir kauften neue Bustickets, diesmal in unterschiedliche Richtungen. Nach vier Stunden Busfahrt war ich dann in Hamburg. Der Rest des Weges ist nun schon nicht mehr so interessant.
Ich erfuhr von der jungen Frau, dass sie vor einigen Jahren nach Deutschland als Au-Pair gegangen ist. Sie lernte die deutsche Sprache und sie lernte dort auch ihren heutigen Ehemann kennen. Tja, so nahm die Geschichte ihren Lauf. Der Mann wollte nicht nach Russland und sie wollte ihren Mann nicht verlieren. So blieb sie in Deutschland und hilft ihrem Mann, der selbständiger Handwerksmeister ist.
Ich versuchte die politischen Themen zu vermeiden, aber ganz umhin kamen wir natürlich nicht. Sie erzählte mir, dass sie das Haus mit Heizöl beheize und bereits ausreichend vorgesorgt habe. Sie bestätigte meine Meinung, dass es den Deutschen heute immer noch gut gehe, niemand wirklich ernsthaft etwas Negatives spüre, von den paar Preiskorrekturen einmal abgesehen, die aber auch nicht wirklich schmerzhaft sind.
Ich äußerte den Verdacht, dass die Deutschen immer noch nicht glauben wollen, dass das große Elend erst noch bevorsteht, in drei, vier Monaten.
Unser Gedankenaustausch wurde unterbrochen durch eine Polizeikolonne aus mehreren Fahrzeugen, Personentransportern und zwei Wasserwerfern, die mit Sirene und Blaulicht am Berliner ZOB in den frühen Vormittagsstunden vorbeirasten.
Ich erschrak ein wenig, denn so etwas kannte ich aus Kaliningrad nicht. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mit beiden Beinen auf einem Hinweisschild für ukrainische Flüchtlinge stand. Schnell räumte ich meinen Platz … man weiß ja nie, wie einem das mal ausgelegt werden kann: Blau-gelbe Symbolik und Erichowitsch trampelt da mit Füßen drauf.
Meine Reisebekanntschaft lächelte ein wenig, wohl auch mit einem Blick auf meine Kopfbedeckung, ein heller Sonnenschutz mit goldenem russischem Doppeladler und der russischen Aufschrift „Rossia“.
Sie nickte, als ich argumentierte, dass den Deutschen der Begriff Krise im persönlichen Leben eigentlich völlig unbekannt ist. Es gab nach 1949 keine wirklichen Krisen für die westdeutsche Bevölkerung, ausgelöst durch wirtschaftliche Probleme.
Und nach 1990, dem Jahr der sogenannten Wiedervereinigung, gab es auch keine Krisen, die den Deutschen, scherzhaft als „Michel“ oder „Otto-Normalverbraucher“ bezeichnet, auch wirklich betroffen haben. Insgesamt entwickelte sich Deutschland wirtschaftlich gut und besetzt somit völlig zu Recht den führenden Platz in der Europäischen Union.
Russland unterscheidet sich in dieser Frage, der Krisenfrage, radikal von Deutschland. Das Land durchlebt regelmäßig Krisen, auch mit direkten Folgen für den Bürger selbst. Russland und seine Bürger sind in der Krisenbewältigung trainiert: 1991, 1993, 1998, 2008, 2014, die Corona-Krise und nun die Sanktionskrise. Vermutlich habe ich noch irgendeine Krise vergessen aufzuzählen. Es sind zu viele, um sich an alle zu erinnern. Einerseits ist es schlecht, dass es diese Krisen in Russland gibt, andererseits gut, denn die Bevölkerung ist trainiert im persönlichen Krisenmanagement.
In Deutschland scheint dies, so mein Eindruck aus den ersten Stunden meines Aufenthaltes in Deutschland, nicht der Fall zu sein. Es gibt kein persönliches Krisengefühl, kein persönliches Krisenmanagement. Alle die ich bisher gesehen habe, machten auf mich einen ganz normalen Eindruck und deren Überlegungen, zur jetzigen politischen und wirtschaftlichen Situation, machten auf mich eher den Eindruck von theoretischen Überlegungen ohne praktischen Bezug. Man glaubt an keine persönliche Krise im Rahmen der politischen Weltkrise und schon gar nicht an direkte persönliche Auswirkungen auf sich selber.
Man hat den Ernstfall niemals wirklich trainiert. Deutsche Soldaten hat man in Krisengebiete geschickt, z.B. nach Afghanistan, damit diese dort die deutsche Freiheit und Demokratie verteidigen, das Siegen und das Sterben lernen. Aber in Deutschland selber wurde nichts trainiert. Es gab ja auch keinen wirklichen realen Gegner, keinen wirklich realen Anlass innerhalb Deutschlands. Man wusste also gar nicht, welche Krisen trainiert werden sollten. Und somit wurde auch dem deutschen Bürger niemals wirklich bewusst, dass das Leben auch mal anders verlaufen könnte. Es fehlt dem Otto-Normalverbraucher heute einfach die Phantasie sich auszumalen, was ihn in drei, vier Monaten erwartet. Alle hoffen wohl auf irgendein Wunder.
Bei all meinen Überlegungen und Analysen kam ich persönlich zu dem Schluss, dass Deutschland sich durchaus Zeiten nähern könnte, wie sie 1946 herrschten – viele können sich aus dem Geschichtsunterricht sicherlich an den superkalten Winter und das Hungern der Deutschen erinnern.
Bei diesen Überlegungen angelangt, erinnerte ich mich wieder an die eben gerade vorbeigeraste Polizeikolonne mit Wasserwerfern. Vielleicht beginnt Deutschland nun doch die Krise zu trainieren – dachte ich leise.
Die politisch Verantwortlichen in Deutschland haben großes Glück, dass die deutsche Bevölkerung das auf sie zukommende Elend überhaupt noch nicht erkannt hat. Somit bleibt noch eine Galgenfrist, um das deutsche Schiff wieder auf richtigen Kurs zu bringen. Ich fürchte allerdings, dass das Schiff wohl schon auf hoher See und der Kontakt zum rettenden Ufer instabil ist.
Meine Reisebegleiterin lächelte mich verstehend an, hatte aber wohl auch nicht wirklich eine Vorstellung, was auf sie zukommt. Im Gegensatz zu vielen anderen Deutschen hat sie aber mit ihrer kleinen Lena Glück: Sie hat eine Oma in Kaliningrad.
Sie sahen einen Beitrag von „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Tschüss und Poka aus Deutschland
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Kommentare ( 3 )
Bastian Радебергер Radeberger
Veröffentlicht: 7. August 2022 03:13 pmDa hat es ja Lenas Mamotschka und Lena eigentlich ganz gut getroffen in Deutsch-Glückselig-Land, wo man sich doch mittels BLÖD- und anderer blöder Blätter und dem Prager Blödferseh-TV eigentlich umfassend in die Irre führen lassen kann. Erichowitsch , Ihr Beitrag läßt mich wieder einmal den Hut vor der Nato und deren Handlanger ziehen. Die haben in ihrem Sinne alles richtig gemacht - Die Medien allgemein wurden auf das mögliche Szenarium Krieg RF - UA auf die sanfte Weise eingesimmt. Damit großflächig keine oppos. Gedanken aufkommen und verbreitet werden konnten, wurden diese Medien entweder verboten oder in die rechte Schmuddelecke gestellt. In der Ukraine selbst wurde der aussichtsreichste Gegenkandidat Medwedschuk des korrupten Machthabers Selenskij verhaftet, ihm Tod und Teufel-Verbindungen nachgesagt und seine und befreundete Fernsehsender einfach geschlossen. Da fällt mir doch der Prozess gegen Dimitroff ein: Sie haben wohl Angst vor meinen Fragen, Herr Ministerpräsident?
Müller-Thurgau
Veröffentlicht: 7. August 2022 14:39 pmJa, die meisten Deutschen können sich überhaupt nicht vorstellen, daß auch wieder einmal ganz schlechte Zeiten kommen. Vor allem die Jugend hat nicht das geringste Gespür dafür, daß Zustände eintreten könnten, die sie nur aus dem Geschichtsunterricht kennt. Die Jugend wird ja auch mit Genderwahn, "Klimarettung" und ähnlichem Blödsinn abgelenkt.
Ob bereits in 3-4 Monaten eine schwere Krise einsetzt, die von allen gespürt wird, weiß ich nicht. Aber schon seit Jahren sage ich folgendes: Deutschland hat nicht mehr die Innovationskraft vergangener Zeiten, es zehrt nur noch von dem, was frühere Generationen geschaffen haben. Deshalb wird es nach einem Absturz nicht mehr die gewohnte wirtschaftliche Stärke erreichen. Und weil die BRD bisher der Goldesel der EU war, wird durch den Niedergang auch die Existenz der EU gefährdet, deren Verschwinden in dieser Form ich allerdings nicht bedauern würde.
Manfred SCHARTOW
Veröffentlicht: 10. August 2022 09:43 pmWillkommen in Deutschland, der wirtschaftlichsten Kolonie von Amerikas Gnaden!
Ihr Bericht liest sich so, als wenn Sie enttäuscht sind. Wollen Sie wirklich, dass das Lebensumfeld Ihrer noch in Deutschland lebenden
Verwandtschaft, Ihrem Bekanntenkreis und ihrer Follower sich verschlechtert?
Die Zeichen der Zeit ergeben tatsächlich eine zwingende Änderung der Lebensweise.
Und die prognostizierte Energiekrise belegt doch eindeutig, dass die Zeit enormer Energieverschwendung beendet werden muss. Der hier in Europa vorhandene Lebensgefühlwohlstand erzeugt einen enormen Energiehunger.
Die Versiegelung urbaner und neu urbanisierter Bereiche, einhergehend mit einem enormen Raub an Grünflächen tun ein Übriges.
Wenn selbst eine Frau Baerbock bereits Volksaufstände in Deutschland befürchtet, obwohl ihr Arbeitsfeld ausserhalb von Deutschland liegt, dann dürfte das wohl mehr als Hinweis sein, dass sich Widerstand regt.
Selbst jeder Kommentar ist ein Zeichen des sich regenden Widerstandes.