Entwöhnungskur für Coca-Cola


Es gibt einige westliche Erzeugnisse, die haben sich so im russischen Leben festgekrallt, dass man glaubt, das Land stürze in den Abgrund, wenn es diese Produkte nicht mehr gibt. Zumindest die Diskussionen über Möglichkeiten, diese Produkte auch nach den Sanktionen erhalten zu können, lassen darauf schließen.
Der Graumarkt oder auch Parallelmarkt genannt, scheint für viele Probleme des täglichen Lebens in Russland gegenwärtig die Ideallösung zu sein. Es werden neue Gesetze erlassen, die den ehemaligen Herstellerschutz wieder aufheben und all denen, die Waren ausländischer Markenhersteller importieren wollen, keine Strafverfolgung mehr androhen. Bisher gibt es eine Liste zum entsprechenden Gesetz, welche genau festlegt, welche Waren keinen Markenschutz mehr in Russland genießen.
Der Import dieser Waren stellt kein wesentliches Problem dar. Man kennt die Firmen, die diesen Parallelimport organisieren. Man muss die Logistik organisieren – eine Frage der Zeit, die aber eher Wochen als Monate in Anspruch nimmt und man muss sich mit höheren Preisen für diese Waren abfinden. Häufig geben die Hersteller der Markenware, im vertrauten Gespräch mit ehemaligen Partnern in Russland, selber Tipps, wie man weiterhin die Ware beziehen kann, denn es geht ums Geld verdienen und die Politik, irgendwelche westlichen Freiheiten und Demokratien, ist den westlichen Produzenten völlig wurscht – Hauptsache der Rubel rollt, im wahrsten Sinne des Wortes. Allerdings muss das alles gesichtswahrend geschehen, denn die Hersteller haben Angst vor den Politikern, deren Gehälter sie zahlen.
Vor vielen Jahren, als ich noch angestellter Mitarbeiter einer russischen Firma war und viele Vergünstigungen erhielt, wurde mir klar, dass ich all diese Vergünstigungen, all diese „Süßigkeiten“ selber bezahlen muss, wenn ich mich selbständig mache. Und ich überlegte, ob ich auch ohne diese Vergünstigungen leben kann – wie schwer das Leben ohne diese Süßigkeiten wird. Ich verzichtete auf den Firmenwagen, ich verzichtete auf das Firmen-Mobiltelefon, ich verzichtete auf den Repräsentationsfond für Gaststättenbesuche und noch einiges andere. Ich stellte fest, dass ich sehr gut ohne alles leben konnte. Und ich lebe auch heute noch ohne Auto, ohne Mobiltelefon, bezahle meine Wohnkosten selber und auch meine Restaurantbesuche. Mir geht es damit phantastisch. Es ist alles eine Frage der Gewöhnung.
Ähnlich sehe ich es nun auch mit diesen westlichen Markenerzeugnissen. Es geht um die Getränke, aber auch um Gebäck, Schokolade und viele andere Dinge aus dem Bereich Nahrungs- und Genussmittel. Der Russe hat sich seit Jahren daran gewöhnt, dass man nur Westware essen und trinken kann und rümpfte häufig die Nase, wenn bei mir auf dem Tisch russische Bitterschokolade zum russischen Konjak stand. Als Alternative bot ich Wasser „Eisberg“ anstelle von „Perrier“ an. Bei Kaffee musste ich leider auf Importe zurückgreifen. Ich habe keinen wirklich echten, in Russland produzierten Kaffee gefunden. Selbst „Paulig“ konnte mich nicht trösten. Bei Tee sieht dies schon ganz anders aus. Er ist zu meinem Hauptgetränk geworden.

Für vieles andere, was ich benötige, habe ich schon vor vielen Jahren, insbesondere ab 2014, vollwertige russische Alternativen gefunden. Ich kann also mitreden, wenn ich gefragt werde, wie denn dieses oder jenes aus russischer Produktion mit russischen Ausgangsprodukten schmeckt.
Ich erinnere mich an Zeiten während meines Studiums, als man mir Kwas im Jahre 1982 in Kaliningrad angeboten hatte, wo ich mich bei brütender Hitze, ein paar Tage im Wald aufgehalten hatte. Zwei Jahre hatte ich mich gegen dieses merkwürdige Getränk gewehrt. Jetzt hatte ich die Wahl zu verdursten oder mich an den Geschmack zu gewöhnen. Ich gewöhnte mich an den Geschmack und heute steht ständig, insbesondere in den Sommermonaten, eine Zwei-Liter-Flasche Kwas bei mir im Kühlschrank. Meine letzte Coca-Cola habe ich … nee, ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich die getrunken habe.
Selbst an Salar, also Speck, habe ich mich gewöhnt und brauche nicht unbedingt deutsche Bockwurst zum Wodka. Ist der Speck gut gewürzt, bis zur Schwarte in dünnen Scheiben aufgeschnitten und noch im halbgefrorenen Zustand auf einem guten Stück Schwarzbrot, ist es eine Delikatesse – natürlich in Normalmengen konsumiert.
Vieles, was wir in Russland an westlichen Marken konsumieren, konsumieren wir aus einem gewissen Minderwertigkeitsgefühl heraus. Erinnerungen aus den 80er und 90er Jahren werden wach, als die Wirtschaft den Bach runterging und alle zu der Überzeugung kamen: Wir können nichts, wir sind „niemand“, tschuldigung, wir sind ja nur Russen. Und natürlich kam dann noch die Defizitwirtschaft hinzu. Wer etwas Westliches ergatterte, der war glücklich und war auch häufig etwas Besonderes, wenn er zu irgendeiner Feier drei Dosen Coca-Cola auf den Tisch stellen konnte, die gerecht unter den anwesenden zehn Gästen aufgeteilt wurden.
Und so blieb es dabei, dass man das Westliche bevorzugte und den einheimischen Erzeugnissen keine Chance gab. Viele, die sich gerne mit dem Aufbau einer eigenen Produktion beschäftigt hätten, unterließen dies, weil sie meinten, dass sie sowieso keine Chance hätten gegen die Bahlsen-Kekse oder Coca-Cola. Und wer doch irgendetwas hatte, hatte keine Chance in den Supermärkten, denn diese wollten keine Russland-Ware und verlangten solche Platzierungsgebühren, dass die Ware teurer wurde, als jede Importware und somit unverkäuflich.
Jetzt fehlt viele Importware oder wird in Zukunft fehlen und es bleibt zu hoffen, dass der Parallelimport sich trotzdem nicht zu einem vollwertigen Ersatz entwickelt und den einheimischen Erzeugern und Unternehmern wieder das Leben schwermacht. Fünf Jahre sollte derartige Importware mit zusätzlichen Zöllen belegt werden, um den einheimischen Anbietern eine wirkliche Chance zu geben. Wer schlechte Ware hat, wird wieder vom Markt verschwinden. Wer sich etwas Gutes einfallen lässt, wird am Markt seine Stellung, gut platziert neben West-Marken, behaupten können.
Anscheinend hat man das in Russland auch erkannt, denn das russische Landwirtschaftsministerium hat erklärt, dass man diese Süßgetränke nicht für den Parallelimport zulassen werde. Russland produziere in einem breiten Spektrum ausreichende nichtalkoholische Getränke. Man brauche diese westlichen Marken nicht.
Die russischen Restaurantbetreiber meinen, dass es in der Anfangszeit zu einem Verbrauchsrückgang kommen wird, da der Gast anfänglich keine Alternativgetränke möchte. Aber nach einer gewissen Übergangszeit, wenn man sich an das fehlende Angebot und die neuen russischen Geschmäcker gewöhnt habe, wird alles wieder zum Normalzustand kommen. Und auch die ausländischen Touristen, die in den nächsten Jahren Russland doch noch besuchen wollen, erhalten endlich die Chance, auch die russischen Getränke und die russische Küche kennenzulernen. Bisher, so zumindest mein Eindruck aus Kaliningrad, haben die Touristen nur einen Abklatsch der westlichen Pseudo-Küche kennengelernt – es sei denn, sie sind in ein Spezialitätenrestaurant für russische Pelmeni gegangen.
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Kommentare ( 7 )
Müller-Thurgau
Veröffentlicht: 4. Juli 2022 09:49 pmDer russische Ersatz für den McDonald's-Fraß soll sehr gut sein, wie ich einem Verkostungsbericht aus Moskau entnahm. In Indien war Coca Cola lange Zeit verboten und die indische Ersatzbrühe schmeckte sogar besser, jedenfalls *mir*. Es geht also, wenn man will. Das Problem ist eher der "Kultstatus" des ausländischen Zeugs, den bekommt man schwer aus den Köpfen heraus. Es braucht etwas Gewöhnung und Erziehungsarbeit und natürlich ausreichend gute einheimische Produkte. Wo es eine deutsche Brauerei gibt, sollte es auch möglich sein, eine erstklassige Kaffeerösterei zu errichten. Frisch ans Werk! - Tee ist eine brauchbare Alternative, trinke ich auch, aber wenn man Kaffee gar nicht bekommen kann, ist es schlecht für die allgemeine Stimmung; das habe ich in den 80er Jahren in der Türkei mitbekommen
Bastian Радебергер Radeberger
Veröffentlicht: 4. Juli 2022 13:07 pmAch Erichowitsch, Kwas ist nach spätestens zwei Wochen ein köstliches Getränk, vom man nicht mehr lassen möchte. Irgendwie macht das "Gesöff" im Sommer richtiggehend süchtig. Wie Sie so schön schreiben.
Die ersten Male schmeckte das Zeug ekelhaft, weil vollkommen ungewohnt. Und dann, wie von Ihnen beschrieben, von mal zu mal immer besser und ist ein hervorragender Durstlöscher. Besser als Wasser pur.
Auch das Weitere ist bei mir nicht aus der Küche verschwunden. ein Loblied auf echte Smetana habe ich vermißt, denn die schmeckt doch in den verschiedensten Essen noch ganz anders als die 30 prozentige Sahne hierzulande.
Da läuft mir doch das Wasser im Mund ...
Uwe Erich Niemeier
Veröffentlicht: 4. Juli 2022 14:10... auf die Nennung von Smetana habe ich verzichtet, weil es keine wirkliche Konkurrenz aus westlicher Produktion in Russland hierzu gibt. Aber ansonsten ist es so ... bei mir ist Smetana in die Kategorie "Rauschgift" eingestuft: Einmal probiert und du bist abhängig.
Anton Amler
Veröffentlicht: 5. Juli 2022 09:55 pmFür mich war nach dem Krieg manche Scheibe von einem russischen Kastenbrot, mit dem "Aufstrich"- Pfeffer, Salz und rohe Zwiebelscheibe - ein wahrer Genuß.
Ich werde heute noch oft gefragt, warum ich eine Scheibe Brot mit Pfeffer und Salz bestreue, beides mit dem Finger verreibe, und dann offensichtlich genießend aufesse?
Die anderen genannten Köstlichkeiten wurden mir bislang nicht zuteil, aber das "Moskauer Sahneeis" war manchmal erhältlich.
Uwe Erich Niemeier
Veröffentlicht: 5. Juli 2022 10:17... ich lasse mich jetzt auf meiner bevorstehenden Reise in das Kurganer Gebiet wieder mit dem selbstgemachten Salar (Speck) verwöhnen. Ich bin natürlich bereit mit Ihnen zu teilen, aber rein logistisch ist dies wohl gegenwärtig eine nicht zu lösende Aufgabe.
Was das Sahneeis anbelangt ... tja, das waren noch Zeiten, als das Eskimoeis für 20 Kopeken angeboten wurde. Ich habe mir heute früh, nach der sehr hitzigen Sauna, ein Stakanschik geleistet, also Sahneeis im Waffelbecher - natürlich ist der Waffelbecher papsig und nicht knusprig. Wäre er knusprig, würde es mir weniger schmecken ...Kostete aber jetzt schon 55 Rubel.
Detlef
Veröffentlicht: 5. Juli 2022 10:39 pmDie russischen Produkte dürften gegenüber den ausländischen Waren teurer sein, weil die einheimische Industrie für Kredite 11%-Zinsen zahlen muss, während Kredite für ausländische Firmen in Dollar bisher nur mit 0%-Zinsen (gegenwärtig 1,5 %) belastet sind. Die Zinsen für Kredite werden immer auf die Preise aufgeschlagen: bei russischen Waren: +11% , bei ausländischen Waren: 0%. Da ist es logisch, dass die Verbraucher sich für die günstigeren Preise entscheiden. Da bleibt für die kleineren russischen Firmen nur die Flucht in den Graumarkt, d.h. Produktion im Ausland mit 0%-Zinsen und Transport nach Russland. Dafür braucht man keine Kredite.
Detlef
Veröffentlicht: 5. Juli 2022 10:49 pmVor ca. 30 .. 40 Jahren wurde in Vietnam begonnen, Kaffee für das sozialistische Lager und speziell die DDR anzubauen. Als die Sträucher so weit gediehen waren, dass man Kaffee ernten konnte, gab es die DDR nicht mehr. Vietnam blieb auf der Ernte sitzen und verbrauchte den Kaffee im Inland.
Wir waren in Vietnam und von dem Kaffee begeistert. Ein Superkaffee, der überall schmeckt, selbst von fliegenden Händlern im Zug serviert oder auf einer Flussfahrt auf dem Mekong.
Das dürfte auch dem russ. Landwirtschaftsministerium bekannt sein. Es würde sich für Russland also anbieten, den Kaffee aus Vietnam zu beziehen.
loyalo nilats gleichgesinnter
Veröffentlicht: 5. Juli 2022 14:14 pmauch hier wurde unmittelbar nach der wende alles aus dem westen gelobt, hochgejubelt und gefeiert. ich selbst war auch so blöd. nach einigen wenigen jahren merkte der ossi, daß z.b. bautzner senf, werderaner ketchup, senf aus thüringen, lausitzer gurken, lausitzer leinöl, wurst und fleisch aus mekpom und einiges andere anders, bessere, schmeckte. und so gibt es glücklicherweise etliche firmen, die, selbst im neuen gewand die alten, wohlschmeckenden ossi produkte herstellen und mit viel erfolg vermarkten. und von der minderen qualität von vielen lebensmittel aus dem goldenen westen, gammelfleischgeschichten, rückrufen u .ä. gibts ja genug. also, mein fazit ist, daß man manchmal zu seinem glück "gezwungen" werden muß. und für die eigene identität und den stolz ist das wie honig. und im russenmagazin gibt es ja speck, wurst auf krakauer art usw. manches recht lecker. tschüs, guten appetit und laßt es euch schmecken. poka
Anton Amler
Veröffentlicht: 5. Juli 2022 20:03 pmLoyalo
Mein erster Gang, wenn ich in Dresden bin, führt mich auf den Altmarkt zum Bockwurststand.
Da ziehe ich mir dann zweie nackt, nur mit etwas gutem Senf, rein.
Da kann kein bundesdeutscher Dampfriemen mithalten.
Bei Autofahrten ist der "Trucker-Stop" - Abfahrt Naumburg - ein Pflichthalt.
Die Buletten sind vom Feinsten!!!