Kader entscheiden alles

Kader entscheiden alles
 
Stalin ist der Autor dieses, nun schon geflügelten Wortes. Er sprach diese drei Wörter am 4. Mai 1935 im Kremlpalast vor Absolventen der Militärakademien. Er meinte, dass die Vorgesetzten mit ihren nachgeordneten Mitarbeitern aufmerksam zusammenarbeiten, sie loben und fördern sollen. Stalin sprach aber auch andere Worte. Egal was er sagte, es schien immer aus dem Leben gegriffen.
 
 
Der Mensch ist nicht ideal und somit gibt es mit jedem Menschen Probleme, mehr oder weniger schwerwiegende. Stalin meinte hierzu: „Ein Mensch, ein Problem. Kein Mensch, kein Problem.“ Im praktischen Leben sahen wir, wie Stalin diese Erkenntnis in der täglichen Praxis berücksichtigte.
 
Aber auch den ersten Satz, Kader entscheiden alles, setzte er in der täglichen Praxis um. Die Sowjetunion, ein junges Land, musste damals eine völlig neue Gesellschaft aufbauen. Während man ein neues Haus durchaus mit alten Steinen bauen kann, lässt sich eine neue Gesellschaft nicht mit alten Kadern aufbauen. Diese Erkenntnis gewannen die Deutschen in Ost und West insbesondere nach 1945.
 
In der DDR wurde die Entnazifizierung konsequenter durchgeführt, als in der BRD. Hierzu gehörte, dass alle notwendigen Positionen in der neuen, der sozialistischen Gesellschaft, auch neu besetzt werden mussten, egal ob es sich um einen Lehrer oder um einen Minister handelte. Neue Kader waren gefragt.
 
Der Bürgermeister von Karlovy Vary befürchtet, dass die Stadt ihre Spa- und Touristenzonen schließen muss. Grund ist das Fehlen russischer Touristen, auf die sich die gesamte Tourismusindustrie der Stadt eingestellt hatte. Bereits ab dem Jahre 2014 war ein Rückgang der Touristenzahlen aus Russland zu bemerken. Sollte man keine neuen Touristen finden, wird die Spa-Industrie der Stadt sterben. Im Jahre 2022 kam die größte Anzahl der jemals registrierten Touristen in die Stadt. Es waren in der Mehrzahl Europäer, davon größtenteils Deutsche, die allerdings nur kurz blieben und kein Geld ausgaben.
 
Und auch im Jahre 1990 verfuhren die Deutschen so. Die Westdeutschen säuberten die exSowjetische Besatzungszone von allen Personen, die als Systemtreue eingeordnet worden waren. Da musste man noch nicht mal offizieller oder nichtoffizieller Mitarbeiter des MfS gewesen sein. Es wurde die Machtfrage geklärt und die Westdeutschen haben es in der Ostzone – so mein Eindruck – gründlich getan.
 
Aber auch die Amerikaner waren gründlich bei der Klärung der Machtfrage ab 1990/91 in der Sowjetunion und danach in Russland, aber auch in allen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Sie nutzten geschickt das ehemalige Parteisystem der KPdSU und deren führende Persönlichkeiten in der Sowjetunion, suchten die, die bereit waren zu kooperieren und führten auf dieser Basis eine komplette „Tiefenreinigung“ durch. Aus „Rot“ wurde häufig … na, irgendeine andere Farbe. Hunderttausende alte Kader in neuer Verpackung entschieden danach alles. Wohin dies führte, wissen wir heute. Das Land und seine Wirtschaft wurden zerschlagen und lagen, bereit zur Kapitulation, am 31. Dezember 1999 am Boden.
 
Das Putin einen Tag später das Ruder in die Hand nahm, änderte daran wenig. Die Kader blieben und es wurde, so mein Eindruck, nicht so radikal vorgegangen, wie dies z.B. die Amerikaner oder die Westdeutschen taten, um die Machtfrage möglichst schnell zu klären.
 
22 Jahre vergingen, wo sich nichts Prinzipielles in der Kaderpolitik Russlands tat. Ich erinnere mich an eine Äußerung des bekannten Duma-Abgeordneten Fjodorow, der überall verkündete: „Alle im Land sind Verräter, nur einer nicht.“ Mit diesem „Einen“ meinte er nicht sich, sondern Putin.
 
Ich war damals geschockt, war ich doch der Meinung, dass z.B. Frau Nabiullina, die Chefin der russischen Zentralbank, eine absolut zu verehrende Persönlichkeit ist, die viel für das Land getan hat. Immerhin hatte sie den russischen Bankensektor von kriminellen Elementen gesäubert und heute kann man zufrieden auf das Erreichte blicken. Der Bankensektor ist sauber. Aber die Frau hat auch den Verlust von über 300 Mrd. Euro zu verantworten – die Hälfte der finanziellen staatlichen Sicherheit.
 
Aber ich schweife zu weit ab.
 
Der polnische Präsident Duda warnt davor, dass Russland siegen wird, wenn die Ukraine nicht in den kommenden Wochen Militärhilfe erhält. „Wenn die Ukraine nicht in den kommenden Wochen Militärtechnik erhält, wird Putin siegen. Er wird siegen und wir wissen, wo das dann endet“, - so Duda im Interview mit der Zeitung „Le Figaro“
 
Es geht darum, dass eben viele Kader in Führungspositionen sitzen, die dort nicht hingehören und der 24. Februar 2022 war nicht nur der Beginn des Militäreinsatzes in der Ukraine, sondern auch der Beginn der Säuberung der russischen Gesellschaft, staatlicher Strukturen, des Kultur- und Sportbereiches, von Kadern, die das Land nicht braucht. Putin hat für die Lösung des Problems seine Methode gewählt. Und seine Methode ist der Methode von Stalin überhaupt nicht ähnlich. Während Stalin die von ihm vermuteten Verräter in Lager im Osten des Landes schickte, hat Putin die Tore zum West-Lager offengehalten, wohin diese Illoyalen ungehindert und ungezwungen, ausreisen konnten. Innerhalb weniger Monate wurde das Land sauberer und wir können feststellen, dass Stalin Recht hatte: Kader entscheiden alles. Putin hat mit seiner Mannschaft entschieden.
 
Natürlich sieht und kommentiert man dies im Westen völlig anders. Aber wen interessiert es noch wirklich ernsthaft in Russland, was der Westen kommentiert, denkt oder meint. Man nimmt es natürlich zur Kenntnis, aber nicht mehr. Die Zeit, wo die Meinung des Westens wirklichen Einfluss hatte, ist vorbei.
 
Aber während Russland in seinem Land einen wesentlichen Fortschritt bei der Formierung, bei der Reformierung seiner Gesellschaft erreicht, gibt es weitere Probleme und diese Probleme werden in dem Maße größer und akuter, wie die Militäroperation in der Ukraine Fortschritte macht.
 
Seit einigen Monaten hat Russland keine 85, sondern 89 Regionen. Vier, ehemals ukrainische Regionen, haben sich entschlossen, dem Bestand der Russischen Föderation beizutreten. Das hört sich ziemlich einfach an. Da wird ein Referendum organisiert, die Leute gehen an die Urnen, werfen ihren Zettel ein und einen Tag später kennen wir das Ergebnis. Aber ganz so einfach ist es nicht, denn wir wissen: „Kader entscheiden alles“.
 
Russland und der Sudan sind sich, nach nochmaligen Verhandlungen, einig geworden zur Schaffung eines russischen Militärstützpunktes im Sudan. Zu den Gegenleistungen Russlands zählen auch Waffenlieferungen an den Sudan. Jetzt beginnt der Ratifizierungsprozess der vertraglichen Vereinbarungen in den verschiedensten Instanzen des Sudan. Bei dem Stützpunkt handelt es sich um eine materiell-technische Basis für die russischen Seestreitkräfte. Der Personalbestand darf 300 Personen nicht übersteigen und es dürfen sich nicht mehr als vier russische Schiffe gleichzeitig in der Basis aufhalten.
 
Alle Funktionen in diesen vorerst vier Regionen, morgen sind es vielleicht fünf, sechs oder mehr, sind mit Ukrainern besetzt. Sind diese bereit, Ihre Arbeit neu auszurichten? Selbst wenn diese es laut und deutlich erklären, vielleicht sogar, ähnlich wie in Deutschland, einen Treueschwur auf ihr neues Vaterland ablegen – kann man sich da sicher sein, dass sie auch wirklich treu sind? Die Erfahrung zeigt, dass man das eben nicht sein kann. Die Ukraine hat für „die Zeit danach“ vorgesorgt … Entschuldigung, ich meinte natürlich „die USA sorgen bereits jetzt für die Zeit danach vor.“
 
Somit bleibt eigentlich nur die Konsequenz – so wie man es auf dem Territorium der ehemaligen SED-Diktatur ab 1990 getan hat, alle zu entlassen – die Reinemachefrau, die Stasi-Mitarbeiterin war, der Lehrer, der Geschichte und Staatsbürgerkunde unterrichtet hat, der Oberst aus der Polizei, der niemals Oberst hätte werden können, wenn er nicht staats- und parteitreu gewesen und heute somit ein Sicherheitsrisiko ist.
 
Tausende hat es damals in der exDDR betroffen. Und um möglichst schnell die Machtfrage zu klären, wurden herausragende Führungspersönlichkeiten, hochqualifiziert und hochmotiviert aus den Gebraucht-Bundesländern in die exDDR gesandt. Sie wurden mit Brot und Salz und Plakaten „Vom Westen lernen heißt siegen lernen“, begrüßt.
 
Videoeinspielung
 
So, nachdem sich nun ein Großteil meiner Leser und Zuschauer wieder beruhigt und von ihrem Lachanfall erholt hat, setze ich sachlich fort.
 
Der Vorteil in Deutschland war damals, dass in Europa Frieden herrschte, in Deutschland sowieso und insgesamt eine gewisse optimistische friedliche Grundstimmung herrschte. Die Entsendung von Personal aus dem Westen in den Osten des Landes, brachte keinerlei Beeinträchtigungen für die Alt-Bundesländer. Man brauchte auch keine Beeinträchtigung der Sicherheitslage in den Altbundesländern zu befürchten.
 
Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates Alexej Danilow hat eine umfangreiche Kadersäuberung im ukrainischen Sicherheitsdienst, dem Steuerdienst, dem Zollapparat, der Polizei und anderen Behörden angekündigt. Man werde sich von denen trennen die glauben, dass Schmiergeld etwas normales ist und die dem Unternehmertum Schwierigkeiten bereiten. Bereits jetzt haben eine Vielzahl hochgestellter Beamter ihren Rücktritt erklärt. Auf der für Montag (13. Februar 2023) anberaumten Sitzung des Sicherheitsrates, sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden.
 
In Russland sieht das Problem ganz anders aus.
 
In der Zwischenzeit scheint es unstrittig zu sein, dass die innenpolitische Lage in der Ukraine am 24. Februar 2022 durch Russland verkehrt eingeschätzt wurden ist. Man traf die russischen Truppen nicht mit Brot und Salz und anstelle von Blumen wurden Granaten geworfen. Somit brauchen wir uns keinerlei Illusionen über die Bereitschaft eines großen Teiles der ehemaligen ukrainischen Bevölkerung, in den neuen Gebieten, zur Kooperation mit der neuen russischen Gesellschaft, hingeben.
 
Kader entscheiden alles – somit müssen alle Führungspositionen, Reinemachefrau, Lehrer, Oberst, neu besetzt werden. Woher nimmt Russland diese tausenden, zehntausenden Kader? Natürlich aus den staatlichen Strukturen der „Alt-Föderationsregionen“. Diese müssen aber so gut sein, dass sie nicht nur die fachlichen Aufgaben lösen, sondern auch auf die neuen Staatsbürger, die exUkrainer schauen, die noch weiterhin in bestimmten Funktionen arbeiten. Sie müssen deren Loyalität richtig einschätzen können.
 
Und wenn tausende, zehntausende von Beamten in den altföderalen Regionen fehlen, so ist es logisch, dass die Frage auftaucht, ob es dann dort zu Sicherheitsproblemen kommt oder ob es zu bürokratischen Problemen kommt. Es fehlen hunderte und tausende von Polizisten, Verkehrspolizisten, Staatsanwälte, Richter. Es fehlen hunderte und tausende von Mitarbeitern im Sozialbereich, der Renten- und Krankenversorgung.
 
Und dies alles noch unter den Bedingungen, dass sowohl die antirussische Staatengemeinschaft aktive Wühl- und Diversionsarbeit in Russland betreibt und auch die Ukraine mit ihren Diversantengruppen versucht, die innenpolitische Situation in Russland zu destabilisieren. Das kannte man damals im wiedervereinten großen Deutschland nicht.
 
Der polnische Präsident Anjee Duda informierte in einem Interview mit „Le Figaro“, dass sich gegenwärtig rund 10.000 amerikanische Soldaten in Polen aufhalten. Die Anzahl wächst mit der Notwendigkeit, die Ostflanke der NATO zu stärken – so der Präsident. Polen wird seinen Verteidigungsetat weiter anheben und aufrüsten. Im Jahre 2023 wird Polen vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsbedürfnisse ausgeben.
 
Wie kann man dieses Problem lösen?
 
Die damalige Sowjetunion, ich spreche über den Zeitraum 1941-1945, hatte 1943, nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad, das „Nationalkomitee freies Deutschland“ geschaffen. Deutsche Emigranten versammelten um sich gefangene deutsche Soldaten und Offiziere, um rechtzeitig mit diesen organisatorische und ideologische Voraussetzungen für ein neues Deutschland zu schaffen. Die Praxis nach dem 9. Mai 1945 hat gezeigt, dass man richtig gedacht hatte, zumindest für die sowjetische Besatzungszone. 
 
Ähnliches könnte man heute wieder tun. Ukrainische Emigranten in Russland, deren Loyalität unstrittig ist, könnten ein „Nationalkomitee“ schaffen und sich der Lösung der Kaderfrage stellen.
 
Haben Sie bemerkt, meine lieben Leser und Zuschauer, dass ich nur von einem „Nationalkomitee“ gesprochen habe und nicht von einem „Nationalkomitee freie Ukraine“? Das war Absicht, denn viele sind sich heute bereits darin einig, dass die Welt keine Ukraine, weder frei noch unfrei braucht.
 
 
Kader entscheiden alles. Die heutigen aktiven Kader in Uniform, werden alle Fragen im Zusammenhang mit der Militäroperation im Verlaufe des Jahres 2023 entscheiden. Die gegenwärtige Hektik in der antirussischen Staatengemeinschaft ist Fakt genug, daran nicht zu zweifeln. Aber damit ist die von Putin gestellte Gesamtaufgabe nicht erfüllt. Einer der Punkte lautet: Entnazifizierung der Ukraine. Und hier werden viele Kader benötigt, die diesen Prozess in vielen Jahren umsetzen. Russland muss wohl lange Geduld haben, denn die benötigten Kader sind nicht, noch nicht, vorhanden. Und wenn sie vorhanden sind, werden sie viele Jahre brauchen, um das zu korrigieren, was seit Dezember 1991 schief gelaufen ist.
 
Videoeinspielung: Zitat Putin
 
Sie sahen einen Beitrag von „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihr Interesse. Tschüss und Poka aus Kaliningrad.
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