Keine offizielle Schadenfreude, aber in den russischen Küchen Thema Nr. 1: Afghanistan


Natürlich sind die russischen Medien voll mit Informationen zur aktuellen Situation in Afghanistan. In- und ausländische Politiker werden zitiert, Bewertungen werden vorgenommen. Eine offizielle russische Schadenfreude über die Niederlage der USA und der NATO kann ich allerdings nicht erkennen.
Video: Filmklassiker „Kriminelles Talent“
Das Verhalten des offiziellen Russlands beeindruckt mich immer wieder. Man erträgt geduldig die vielen Demütigungen und Diskreditierungen der westlichen Demokratien in den letzten Jahren. Antwortreaktionen lassen fast immer etwas länger auf sich warten, sind dann aber doch recht effektiv.
Video: Zitat Peskow, Pressesprecher
Genannt seien die Gegensanktionen auf dem landwirtschaftlichen Gebiet im Jahre 2014 und die jüngste Schaffung der Liste unfreundlicher Staaten, auf der sich zwar nur zwei Staaten befinden, die aber dazu geführt hat, dass viele andere Staaten sich jetzt ziemlich ruhig verhalten.
In vielen Fällen habe ich den subjektiven Eindruck, als ob Russland natürlich die jeweilige Situation regelrecht genießt … allerdings hinter verschlossenen Türen, bei einer gemütlichen Tasse Tee. Wozu soll man offiziell Schadenfreude zeigen, wenn die Niederlagen oder die Uneffektivität der Handlungen des Westens, auch so für alle zu sehen sind.
Auch die jetzige Niederlage, eine von vielen Niederlagen der USA in der Zeit nach 1945, wird nicht genutzt, um laut zu lachen. Alle sehen, dass die USA nur in der Lage sind, Chaos zu organisieren und wenn dies groß genug ist, verlassen sie das Schlachtfeld, rücksichtslos und ohne an die Partner, Freunde, Verbündeten zu denken.
Logisch, dass diese Partner, Freunde und Verbündete nun beginnen darüber nachzudenken, ob die USA denn noch der Partner ist, den man braucht, um sich vor den Russen und Chinesen zu schützen. Zu diesen Überlegungen veröffentlichte die Zeitung „The Washington Post“ einen Beitrag, den russische Medien zitieren.
Natürlich haben weder die Russen noch die Chinesen die Absicht, Europa oder sonst jemanden anzugreifen, aber man braucht ein Feindbild. Geht dies verloren und man stellt fest, dass es gar keinen wirklichen Feind gibt, müsste man die NATO auflösen … tja, und da werden einige Generäle arbeitslos und einige Industrieunternehmen müssen ihre Produktion neu strukturieren und wer will schon arbeitslos werden oder die gewinnträchtige Produktion von Stahlhelmen in eine margenschlankere Produktion von Kochtöpfen umgestalten.
Gegenwärtig, so schreibt die Zeitung, überlegen die Amerikaner, ob man den Rückzug (oder war es doch eine Flucht) der Weltöffentlichkeit nicht doch als weitsichtige Entscheidung der allmächtigen USA verkaufen kann, die mit diesem Rückzug nur langfristig nationale Interessen schützen und Ressourcen im Kampf für aktuellere Probleme freigesetzt haben.
Letztendlich ist es egal, wie klug die Propaganda der USA arbeitet, um diese schmähliche Flucht der Weltöffentlichkeit doch noch als strategische Weitsicht zu verkaufen. Der einfache Bürger auf der Straße weiß, dass die USA nur an sich denken und kein verlässlicher Partner sind: American first.
Video: Zitat Putin mit Forderung, die Manipulation des Volkes zu beenden
Vermutlich wird dies auch eine bittere Erkenntnis für die baltischen Staaten sein, die ja täglich mit dem Einmarsch der Russen rechnen. Sie bekommen jetzt einen Vorgeschmack, wie schnell die Amerikaner mit ihren paar Tausend Soldaten, die in den vier baltischen Republiken stationiert sind, um Polen, Litauen, Lettland und Estland vor den bösen Russen zu schützen, verschwinden können.
Aber auch Deutschland könnte anfangen nachzudenken. Bisher lautete ja die Argumentation immer so, dass man die amerikanischen Truppen in Deutschland als Garant für die eigene Sicherheit benötige. Steht die Frage, wer denn Deutschland angreifen sollte. Der Russe? Der ist doch 1994 freiwillig abgezogen. Warum sollte er zurückkehren?
Und wir können nur vermuten, wie schnell die Amerikaner sich aus Deutschland zurückziehen werden, wenn die Russen doch angreifen sollten. Sind sie schon nicht fertig geworden mit den kleinen Vietnamesen und deren Bambusstöcken und jetzt, mit den Taliban, die ja gar keine Armee sind und noch nicht mal im Gleichschritt marschieren können, so reicht meine Phantasie nicht aus mir vorzustellen, wie man mit dem Russen kämpfen und die westlichen Demokratien retten will.
Die Zeitung „The Washington Post“ zitiert einige Politiker der EU-Länder, die sich am 17. August zu einer Sondersitzung versammelt hatten, um die amerikanische Flucht aus Afghanistan zu besprechen. Zitiert wird von den russischen Medien Herr Armin Laschet, der in wenigen Wochen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden will. Er soll gesagt haben, dass die Flucht der USA aus Afghanistan die größte Niederlage ist, die die NATO seit ihrer Gründung erlebt hat.
Mit anderen Worten – es gab schon andere, weniger große Niederlagen der NATO. Und ich glaube, Herr Laschet, es wird nicht die letzte Niederlage der NATO sein.
Es wird somit wirklich Zeit, sich darauf zu besinnen, dass Europa ein eigenständiger Kontinent ist und man sich selber schützen kann und sollte. Wozu soll man seine Sicherheit auf den Schultern des amerikanischen Feiglings und Verräters gemeinschaftlicher Interessen weiter organisieren?
Übrigens hatte Putin schon vor einiger Zeit gesagt, dass Russland durchaus in der Lage ist, Europa bei der Organisation der eigenen Sicherheit Hilfe zu leisten. Und Putin meinte damit ganz bestimmt nicht, dass er Soldaten der russischen Armee in Rammstein stationieren will oder aber das ehemalige Objekt in Karlshorst, wo der sowjetische KGB seine Auslandsresidenz hatte, wieder mit Mitarbeitern von Sergej Naryschkin beleben will.
Video: Putin zur Hilfe für Europa
Zusammenfassend kann man wohl heute einschätzen, dass die Zeiten von Groß-Amerika, dem Meinungs- und Machtmonopolisten in der Welt, zu Ende gehen. Niemand will Amerika vernichten, aber viele möchten, dass Amerika die Rolle spielt, die ihm zusteht: Ein Staat von vielen in der Welt.
Video: Putinzitat – Uns hat niemand zugehört
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Kommentare ( 1 )
Anton Amler
Veröffentlicht: 22. August 2021 11:46 pmIch kann`s nicht lassen - ein Wort zum Sonntag!
Wissen Sie eigentlich woher Ihre Erkenntnis stammt, daß die USA nur eines, von vielen Ländern ist?
Es steht auf jedem roten "US Cent" :
" e pluribus unum" - "von Vielen Einer"
Geschichte ist nun mal Vergangenheit, aber manchmal denkt man halt, was wäre wenn?
Gorbatschew hätte eine kleine Kernwaffentruppe, vielleicht in Pulsnitz, belassen können.
Deutschlandpolitik und Nato sähen heute anders aus.
Uwe Erich Niemeier
Veröffentlicht: 22. August 2021 13:27... ich glaube, wir sind gerade dabei, einige Fehler aus der Vergangenheit zu korrigieren - hierbei meine ich die Vergangenheit ab 1989.
Ich schaue mehrmals täglich in russische Quellen und freue mich über die positiven Entwicklungen in Afghanistan. Auch hier korrigiert Russland die Fehler der sowjetischen Vergangenheit.
Ich sehe aber auch, wie sich deutsche Meldungen über Vorgänge in Afghanistan von den russischen unterscheiden - Tag und Nacht-Vergleich ist dabei noch geschmeichelt.