Kurgan – Verbannungsort der Vergangenheit, Touristenparadies der Zukunft


Glück hatten die, denen die Stadt Kurgan ab dem Jahre 1800 als Verbannungsort zugewiesen wurde, denn Kurgan befindet sich noch vor Sibirien. Heute würde ich als Unternehmer und Investor eine Verbannung in die Stadt oder das Gebiet Kurgan mit Freude entgegennehmen, denn Stadt und Gebiet haben ein riesiges Entwicklungspotential.
Vielleicht wollten einige, dass ich als Tourist in das Kurganer Gebiet fahre. Es wurde auch viel getan, damit ich mich so wohl fühle, wie es Touristen tun. Das Ergebnis war eine Gewichtszunahme um 1,5 Kilo … nu ladno, ich hatte Schlimmeres erwartet.
Gefahren bin ich allerdings mit dem Vorsatz, mir das Leben und Arbeiten der dortigen Menschen anzuschauen, das Lebensniveau, den Zustand der Stadt und der Dörfer.
„Du hast ja keine Ahnung vom wahren Leben im tiefen Russland“, - so der nicht seltene Vorwurf, wenn ich mit meinen Informationen über Entwicklungen in Russland berichtete. „Fahre mal in ein Dorf irgendwo in Sibirien … da siehst du das ganze Elend Russlands“, - so kommentierten häufig Deutsche, die vielleicht selber niemals an solchen Orten waren und wenn, dann nicht mit den dortigen Menschen gesprochen hatten. Seine Kenntnisse über das große riesige Russland bezieht der Deutsche aus deutschen Medien und, ich hatte es schon immer vermutet, jetzt weiß ich es genau … diese Medien berichten einseitig, einseitig negativ.
Auch ich berichte einseitig. Ich versuche Verständnis für Russland zu entwickeln und versuche mir bei den Dingen, die ich sehe, die Frage selber zu beantworten, warum dies so oder so ist. Viele Dinge in Russland empfindet der Deutsche als negativ, als unzureichend, als ganz schlimm. Der Russe empfindet dies aber anders. Jeder ist sein eigenes Leben gewohnt und nicht immer will ein Russe so leben, wie es sich ein Deutscher vorstellt. Der Deutsche, so meine Erinnerung, ist voll auf sich fixiert und zeigt gegenüber anderen Menschen und Kulturen nur wenig Verständnis und Toleranz. Bei dem Russen ist dies anders. Mein Eindruck ist häufig, dass der Russe kein ausgeprägtes Selbstbewusstsein hat und alles Westliche vergöttert … mit anderen Worten, Ausländer, ausländische Touristen und Geschäftsleute sind in Russland so eine Art Halbgötter.
Aber auch innerhalb Russlands gibt es diesen Widerspruch, was man als angenehm oder schlimm empfindet.
Der verwöhnte hauptstädtische Moskauer, will nicht in der Provinz Kaliningrad leben, schon gar nicht in Kurgan. Der verwöhnte Kurganer, der in seiner Gebietshauptstadt lebt, will auf keinen Fall in das Dorf Palawinka umziehen, da die dortigen, sehr einfachen Lebensbedingungen, überhaupt nicht seinen Vorstellungen von einem komfortablen, angenehmen Leben entsprechen.
Aber auch umgekehrt … viele Dorfbewohner wollen auf keinen Fall in die Stadt umziehen … „nein, wir wollen hier nicht weg, wir sind hier geboren, aufgewachsen, haben hier unsere Arbeit, unsere Bekannten und Verwandten“, - so die sehr häufige Antwort, die ich vor Ort hörte.
Allerdings, auch das ist Fakt, wandert die Jugend ab. Wir haben somit in Russland das gleiche Problem wie in Deutschland. Das Dorf-, das Landleben ist für die Jugend unattraktiv. Somit ist klar, dass etwas getan werden muss, um das Dorf- und Landleben wieder attraktiv zu machen. Und es gibt Möglichkeiten – natürlich nicht für alle, aber doch für die Jugend, die sich unternehmerisch mit dem Leben auf dem Land, im Dorf beschäftigen will. Ich meine nicht unbedingt die Landwirtschaft, sondern den Tourismus, aber auch IT-Spezialisten, die ja überall arbeiten können, wo es schön ist. Und auf dem Dorf, bei frischer Luft, an einem stillen See, diese Stille nur ab und zu mal unterbrochen durch das Krähen eines Hahnes, kann man wunderbar programmieren – vorausgesetzt, es gibt Internet. Und in den russischen Dörfern, zumindest in denen, wo ich war, funktioniert das Internet tadellos.
Kommen wir nochmal kurz auf den Tourismus zurück.
Ich hatte den Eindruck, als ob die Kurganer nicht wissen, dass sie eigentlich in einem kleinen, einem 70.000 Quadratkilometer großen Paradies wohnen. Ja, es muss ein wenig aufgeräumt, ein wenig Staub gewischt, ein wenig Gras gemäht werden. Aber ich, als Ortsfremder, habe das riesige touristische Potential der Region schon vor Antritt meiner Reise erkannt, als ich mich mit der Vorbereitung beschäftigt hatte. Ich wusste nicht, was mich in der Realität erwartet. Die von mir erlebte Realität bestätigte: Kurgan, das Kurganer Gebiet ist eine touristische Perle und das Geld liegt einfach nur auf der Straße. Nur niemand bückt sich nach diesem Geld.
Werfen wir einen Blick auf die Internetseite der Kurganer Regierung, so finden wir dort keinen Minister für Tourismus. Das Wort Tourismus finde ich in der Struktur überhaupt nicht. Aber es existiert ein Minister für Kultur. Ich vermute, dass dieser sich auch mit Tourismus beschäftigt … wissen tue ich es nicht. In Kaliningrad haben wir Andrej Jermak, Minister für Tourismus und Kultur – langjährig in Funktion und ziemlich aktiv. Und wenn alles nach Plan verläuft, will er in diesem Jahr zwei Millionen Touristen im Gebiet verwöhnen. Bei meinen Gesprächen in Kurgan erzählte man mir, dass Touristen kommen, aber es ist eigentlich nicht der Rede wert. „Wir sind nicht bereit, eine große Anzahl von Touristen aufzunehmen“, - so eine der Antworten die ich erhielt.
Ähnlich ging es uns in Kaliningrad vor ein paar Jahren. Dann fanden sich Mittel, Menschen, die in die Infrastruktur investierten, die das Potential der Region erkannt hatten. Gut, das Potential liegt wohl in der „Ostpreußischen Romantik“, die viele in- und ausländische Touristen inhalieren wollen. Mir wäre „Russische Romantik“ in Kaliningrad angenehmer. Aber, wie sagte Putin mal vor ein paar Jahren: Wir müssen bei all unseren Handlungen pragmatisch denken. Und was bedeutet dieser Pragmatismus auf unseren konkreten Fall angewandt? Wir in Kaliningrad zeigen „Ostpreußische Romantik“, in Ermangelung von „Russischer Romantik“ und die Kurganer zeigen „Russische Romantik“ in Ermangelung von „Ostpreußischer Romantik“.
Ich werde diesen Gedanken in einem weiteren Beitrag detaillierter behandeln und organisiere hierzu ein „virtuelles Gespräch“ mit Wadim Schumkow, dem Kurganer Gouverneur und Anton Alichanow, unserem Kaliningrader Gouverneur. Und vielleicht ist mein Gedanke, den ich vorschlagen möchte, gar nicht so abwegig.
Machen wir einen Schnitt und kehren in die Gebietshauptstadt Kurgan zurück. Mein Programm war so umfangreich, dass ich überall nur wenige Momente war. Und somit ist klar, dass ich nur Eindrücke, Momentaufnahmen kommentieren kann, die kein Anspruch auf absolute Wahrheit erheben.
Vergleichen wir Kurgan mit Kaliningrad, so lebt Kaliningrad bereits mit einem Vorsprung von 15 Jahren in der Zukunft – so sagte es mir ein exKurganer, der heute in Kaliningrad lebt und vergleichen kann.
Die Fahrt durch die Stadt zeigte mir, dass Kurgan sich in einer ähnlichen Situation befindet, wie Kaliningrad. Kaliningrad hat viel historische, altdeutsche Bausubstanz, die jetzt im Rahmen des Fonds für Hauptinstandsetzungen, einer Fassadenrekonstruktion unterzogen wird. In fünf Jahren soll das alles abgeschlossen sein und wir leben dann mit toll rekonstruierten historischen Gebäuden, Gebäuden mit sowjetischer Zweckarchitektur und Gebäuden aus der russischen Moderne.
In Kurgan sieht es ähnlich aus, nur mit dem Unterschied, dass man keine altdeutsche Bausubstanz hat, sondern jede Menge altrussische Gebäude, Holz- oder auch Steingebäude, die alle russische historische Romantik ausstrahlen. Viele Gebäude scheinen leer zu stehen und auf eine neue Verwendung zu warten.
Wenn Kaliningrad im „Fond Kapremont“ Gelder findet, um historische Gebäude zu restaurieren, so müsste es doch auch in Kurgan möglich sein, derartige Gelder aufzutreiben. Ich bin kein Fachmann, aber ich stelle mir die Instandsetzung der winzigen kleinen Holzhäuser, die es in unglaublicher Vielfalt und durchaus noch erkennbarer Schönheit gibt, nicht so teuer vor. Und diese Häuser dann Touristen anzubieten – die nicht in irgendwelchen hypermodernen, durchgesteilten Hotels, mit allem Schnick-Schnack leben wollen … das wäre doch der touristische Anziehungspunkt: „Leben am Tor zu Sibirien. Leben wie zur Zarenzeit.“
Ich habe keine Ahnung, wie viele Deutsche oder andere Ausländer sich das Erlebnis, im tiefen, geheimnisvollen russischen Land mal für eine Woche leben zu dürfen, leisten werden. Aber Russland ist für viele Ausländer immer noch ein geheimnisumwittertes Land. Gebt den Ausländern die Möglichkeit, die Kurganer Verbannung, das Leben der Dekabristen, das Leben ab 1941, das Leben ab 1991 kennenzulernen. Bildet mehr solcher Fremdenführer aus, wie Alexej Dedow, die die Touristen begleiten und originell die Stadtführung durchführen.
Fahren Sie mit den Touristen über die großen breiten Straßen Kurgans und erzählen Sie über die geheimnisvollen Waffenschmieden Russlands, entstanden im Jahre 1941, die links und rechts dieser Straßen stehen und streng geheim sind. Alleine diese Tatsache wird eine Gänsehaut bei den Touristen hervorrufen. Und wenn Sie dann noch die Technik, die dort gebaut wird, im Miniaturformat mit „Sowjetstern“ den Touristen zum Kauf anbieten, dann sind alle glücklich: Sie verdienen Geld und die Ausländer werden in einigen der pragmatischen Stereotypen bestätigt und sehen auch, wie das jetzige reale Leben in Russland außerhalb der Metropolen Moskau, St. Petersburg … naja, und Kaliningrad ist.
Zeigen Sie den Ausländern Ihre medizinischen Einrichtungen, die schon zu Sowjetzeiten von Ausländern stark frequentiert wurden. Vieles ist in Vergessenheit geraten – leider. Bringen Sie sich wieder in Erinnerung!
Schauen wir aus der Luft auf Kurgan und das Kurganer Gebiet, so sehen wir eine Unmenge von großen und kleinen Seen. Es gibt sogar einen Salzsee, der toter ist, als das Tote Meer. Mein Kaliningrader Bekannter erzählte mir, dass der See so salzhaltig ist, dass man da nicht untergehen kann. Er vergaß allerdings zu erwähnen, dass man nicht wegen dem hohen Salzgehalt nicht ertrinken kann, sondern weil der See an der tiefsten Stelle nur 1,20 Meter tief ist, an vielen Stellen nur 60 Zentimeter.
Es gibt Seen mit Gesundheitsschlamm, es gibt Seen, die einfach nur schön sind … Es gibt Wald und Wälder … es gibt einfach nur Romantik pur.
Das ganze Gebiet schreit doch eigentlich danach, hier ein medizinisches Dienstleistungszentrum, Sanatorien und ähnliches zu errichten. Gerade jetzt, wo Russland den Generalangriff auf sein Gesundheitswesen begonnen hat, um es auf moderne Füße zu stellen, bietet es sich doch an, mal im föderalen Zentrum nachzufragen, ob es nicht ein paar Milliarden Rubel in einem der vielen Reservefonds gibt, um damit „Kurganer Schlammpackungen“ oder „Kurganer Salzkristalle“ zu entwickeln.
Alexander Wladimirowitsch – wie schaut es aus? Gibt es Zeit und Möglichkeiten, um in der Staatsduma mit anderen Kollegen darüber zu sprechen und Unterstützer zu finden? Vielleicht haben Sie aber noch andere Kontakte? Sie haben es doch auch in Schastoosjornoje geschafft, mehrere Unternehmen aus dem Nichts aufzubauen. Das Dorf ist aufgeblüht, die Menschen sind glücklich, die Infrastruktur entwickelt sich … Es muss doch noch mehr solcher Fanaten wie Sie geben, die das Gebiet insgesamt entwickeln wollen.
Soweit mein allgemeiner Eindruck von Stadt und Gebiet, wenige Stunden nach meinem Eintreffen in Kurgan.
Alexander Wladimirowitsch Iltjakow, Abgeordneter der Staatsduma und Patriot seines Gebietes und seines Dorfes, lud zum Mittagessen ein. Das war der erste Schlag gegen meine Pläne, ein wenig mein Gewicht zu verringern.
Ich erinnere mich an die Schilderung von August von Kotzebue, der auch, auf dem Weg in die Kurganer Verbannung, zu einer Hochzeit eingeladen wurde (ja, so schön und interessant konnte eine Reise in die Verbannung damals in Russland sein). Man tafelte üppig und als schon nichts mehr ging, beendete der Gastgeber die Runde mit den Worten: „So, jetzt haben wir einen kleinen Imbiss eingenommen, geht alle nach Hause, ruht Euch ein Stündchen aus und dann gibt es Mittagessen.“
Ich befürchtete, dass es mir auch so gehen würde und Alexander nach einer Stunde zum Mittagessen einlädt. Aber dem war nicht so. Wir fuhren in sein Heimatdorf: Schastoosjornoje, also „Dorf mit vielen Seen“, mal frei übersetzt. Aber wir kamen nicht aus der Stadt heraus. Trotz breiter und moderner Straßen stand alles im Stau. Schuld waren die unendlich vielen LKW-Sattelschlepper, die in fast ununterbrochener Kolonne fuhren. Eigentlich, so dachte ich mir, steht doch Russland kurz vor dem Kollaps, alle hungern, die Läden sind leer … was mögen wohl die vielen LKW transportieren – vielleicht Luft?
In Kaliningrad hatte ich von einem Bekannten die Aufgabe erhalten, mich um das Kurganer Warensortiment zu kümmern. Bier, Pelmeni und Mini-Pizza – das waren die drei Artikel, deren Preise ich herausfinden sollte. Ich bin ein verantwortungsvoller Neu-russischer Bürger und erfüllte natürlich die Aufgabe von Swjatoslaw. Die Preise unterscheiden sich nur unwesentlich von denen in Kaliningrad. Bedauerlich war, dass es kein Baltika 0,5 Ltr. gab, sondern nur die große Dose … die wiederum gibt es nicht in Kaliningrad.
Im Unterschied zu Kaliningrad, wo ich einfach mit der Kamera in einen Supermarkt gehe und filme, wurden in Kurganer Supermarkt insgesamt 5 Kontrollstufen eingeschaltet, ehe das Kommando kam, dass der Kaliningrader Blogger filmen darf. Unterschiede zum Warensortiment in Kaliningrad habe ich nicht festgestellt. Die Regale waren voll und auch mein ehemaliger pedantischer Hauptfeldwebel an der DDR-Offiziershochschule, hätte in diesem Supermarkt nur schwer einen Staubkrümel gefunden.
Aber, so dachte ich immer noch misstrauisch, es handelt sich um einen Supermarkt in der Gebietshauptstadt. Auf dem Dorf, wo wir jetzt hinfuhren, wird es sicher anders sein. Dort gibt es vielleicht gar keinen Laden und ähnlich wie in Deutschland, kommt dort mal ein „Laden auf Rädern“ vorbei.
Wenn Sie wissen wollen, was ich in den Dörfern vorgefunden habe, die sich in den russischen tiefen Landen befinden, so bleiben Sie meinem Kanal treu. Die Berichterstattung wird fortgesetzt.
Reklame

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