Russische Gesellschaft sucht Antworten auf Fragen zur Taktik in der Ukraine


Mit dem Einsatz eines Oberkommandierenden für die russischen Truppen in der Ukraine hat sich die Taktik Russlands im „Projekt Ukraine“ der NATO geändert. Ergebnisse sind deutlich sichtbar, aber trotzdem bleiben Fragen offen.
Der Bundeskanzler des Landes, dessen Vertreter am 9. Mai 1945 seine Unterschrift unter die Kapitulationsurkunde setzte, forderte: Russland darf nicht siegen. Alleine diese Forderung besagt im Umkehrschluss, dass man sich in Deutschland durchaus bewusst ist, dass ein Sieg Russlands nicht ausgeschlossen werden kann. Wenn allen klar ist, dass ein Sieg Russlands vollständig ausgeschlossen ist, bräuchte man derartige Äußerungen, die sich wie eine Angstaussage anhören, nicht. Rhetorisch könnte man auch die Frage stellen, warum Olaf Scholz nicht fordert: „Die Ukraine muss siegen.“
Die Ukraine wird nicht siegen – das beginnt sich jetzt endgültig abzuzeichnen. Es ist nur eine Frage, wann das „Projekt Ukraine“ der NATO als gescheitert anzusehen ist. Die Zeit bis dahin könnte erheblich verkürzt werden – meinen viele, die sich ehrliche Sorgen um Russland machen, wenn Russland entschiedener vorgehen würde.
So versucht ein russischer Experte zu erklären, warum Russland nicht die Brücken über den Dnepr zerstört. Damit wäre der Osten vom Westen getrennt und keinerlei Transporte von Militärtechnik oder Personal wären mehr möglich. Die dort, im Osten befindliche ukrainische Truppengruppierung, wäre praktisch isoliert, könnte höchstens noch aus der Luft – rein theoretisch – versorgt werden oder über Pontonbrücken.
Die Ukraine selber handelt völlig anders. Sie versucht alle Logistikverbindungen, insbesondere Brücken in den Gebieten zu zerstören, die durch russische Truppen bereits besetzt sind. Logisch, dass Fragen auftauchen, warum Russland hier deaktiv auftritt. Auch russische Militärkorrespondenten, die vor Ort berichten, verstehen dies nicht.
Es gibt die Argumentation, dass es ausreicht, punktuelle Schläge gegen einzelne kritische Objekte der Infrastruktur zu führen, um die Ukraine zu neutralisieren. Diese kritischen Objekte können, nach dem Ende des Bürgerkrieges in der Ukraine, relativ schnell wieder aufgebaut werden. Zerstörte riesige Brücken über den Dnepr, benötigen einige Jahre für den Wiederaufbau. Insgesamt gibt es sieben Brücken über den Dnepr, die wesentlich Einfluss auf die Kampfkraft der ukrainischen Truppen haben. Existieren diese nicht mehr, ist der Osten der Ukraine sofort in Sicherheit und kann nur noch mit weittragender Artillerie oder Raketen erreicht werden.
Da die Zerstörung dieser Brücken nicht erfolgt und es auch keinerlei Erklärungen seitens Russlands gibt, ist es logisch, dass Behauptungen in den westlichen Medien gerne aufgegriffen werden: Russland hat keine Raketen, um diese Brücken zu zerstören.
Russische Experten informieren, dass Russland seit Beginn der Operation in der Ukraine mehr als 3.000 Flügelraketen abgeschossen hat. Vermutlich hätten 14 davon gereicht, die sieben Brücken zu zerstören. Die heutige Realität zeigt, dass also Munitionsmangel wohl kein Grund sein kann, warum diese Brücken oder andere Objekte nicht zerstört werden.
Eine andere Argumentation klingt logischer, wenn auch nicht überzeugender. Um diese gewaltigen Brücken zu zerstören, braucht man auch Raketen mit gewaltiger Zerstörungskraft, konventioneller Zerstörungskraft. Und sie müssen genau fliegen und noch genauer treffen. Die russischen Raketen sollen eine Treffergenauigkeit von plus-minus fünf Metern haben. Und weil diese Treffergenauigkeit zu klein ist, müssen wesentlich mehr Raketen eingesetzt werden, damit zumindest eine trifft – so wird argumentiert.
Wenn man sich aber so unsicher ist, warum versucht man es denn nicht einfach mal mit einer Brücke?
Und vor allem steht die Frage, wie Russland „Entscheidungszentren“ in Kiew vernichten will, wenn die Raketen so ungenau fliegen? Hier handelt es sich um Objekte die auch nicht viel größer oder kleiner sind als diese Brücken. Oder sind die Drohungen, Entscheidungszentren zu vernichten, nur leere Worte?
Interessant war eine weitere Argumentation in den russischen Medien, dass sogar Flügelraketen nicht in der Lage sind, diese Dnepr-Brücken wirklich zu zerstören. Die Pfeiler sind so mächtig, dass die Brücke zwar in der Funktionalität beeinträchtigt, aber nicht zerstört werden kann.
Wenn dem wirklich so ist, steht die Frage, wie man zukünftige militärische Auseinandersetzungen führen will, wenn im Jahre 2022 keine Raketen existieren, die eine Brücke zerstören können. Beruhigend ist vielleicht, dass es auch der ukrainischen Armee nicht gelungen ist, trotz heftigster Schläge, bestimmte Brücken zu zerstören.
In einem Medienbeitrag werden die hochpräzisen Hyperschall-Raketen „Kinschal“ erwähnt. Ja, diese könnten wohl die Brücken zerstören. Aber dafür sind diese Raketen nicht gedacht. Sie sollen große unterirdische Führungszentren oder große Kampfschiffe vernichten. Prima. Große Kampfschiffe hat die Ukraine nicht. Und werden große unterirdische Führungszentren vernichtet? Ich habe darüber noch nichts gelesen. Also könnte man doch zumindest testweise eine Brücke mit dieser Rakete vernichten – praktisch um Erfahrungen zu sammeln, oder?
Und ein letztes, das sogenannte „Totschlag-Argument“ besagt, dass Russland mit seiner unbeschreiblich weiten, weichen, humanitären Seele, der ukrainischen Infrastruktur nicht zu großes Leid antun will. Naja, nach den Ereignissen der letzten zwei, drei Wochen, kann man wohl dieses Argument auch vergessen.
Wir sind also jetzt genau so schlau, wie am Anfang des Beitrages. Wir haben einige Argumente aufgezählt warum Russland „ja“ und warum Russland „nein“ handeln könnte. Eine Antwort auf die Fragen der besorgten Gesellschaft gibt es zu diesem Punkt nicht.

Aber es gibt noch weitere Überlegungen, weitere Fragen, die bisher nicht beantwortet worden sind.
Um Militär und dessen Ausrüstung transportieren zu können – z.B. über die Dnepr-Brücken, benötigt man Eisenbahnwaggons und Lokomotiven. Eisenbahnwaggons hat die Ukraine vermutlich zehntausende. Lokomotiven jedoch nur einige hundert. Und um eine Lokomotive zu zerstören, braucht es eigentlich nur eine Artilleriegranate oder irgendeine kleinere Rakete oder irgendeine Bombe, die von einem Flugzeug oder einer Drohne abgeworfen wird. Warum passiert dies nicht? Warum zerstört man nicht die ukrainischen Dampfrösser und Dieselloks oder auch die stromnutzenden Lokomotiven?
Ersatzlieferungen von Lokomotiven aus dem Westen sind praktisch nicht möglich – eben wegen der unterschiedlichen Spurbreiten.
Es dürfte auch nicht sehr viele Instandsetzungswerke geben, wo diese Technik instandgesetzt werden kann. Warum werden diese nicht zerstört?
Ein russischer Eisenbahnspezialist schlug vor, die kleinen Wartungseinrichtungen auf Rangierbahnhöfen zu zerstören. Gerade diese sind für die Wartung und Instandhaltung des Schienennetzes verantwortlich. Wenn diese nicht mehr existieren, ist das Schienennetz der Ukraine lahmgelegt. Erstaunlich, dass ein Eisenbahn-Zivilist der russischen Armee diesen Ratschlag gibt, wo doch die russische Armee selber über TOP-Eisenbahntruppen und -spezialisten verfügt.
Alexander Michailow, FSB-General in Reserve, schlug vor, Schläge gegen die wenigen Stellen der Eisenbahninfrastruktur zu führen, wo eine Umspurung von westlicher auf östlicher Schienenbreite erfolgt. Denn genau an dieser Stelle erfolgt auch die Umladung der Lieferungen von Militärausrüstung aus dem Westen. Aber diese Schläge erfolgen nicht, denn der Nachschub läuft immer noch bestens aus Polen Richtung Ukraine.
Die Ukraine kommentiert die Angriffe der russischen Armee auf das Energienetz des Landes derart, dass die sehr erfolgreichen Handlungen Russlands nur möglich sind, weil zivile russische Energiespezialisten dem Militär geholfen haben. Wenn dem so ist, so wird es wohl Zeit, dass die russische Armee auch auf zivile russische Eisenbahnspezialisten hört und diese konsultiert.
Eine Erklärung, wenn auch eine sehr gewöhnungsbedürftige Erklärung, für die Verhaltensweise des russischen Militärs könnte sein, dass man ganz bewusst dem Westen die Möglichkeit belässt, militärische Güter in die Ukraine zu bringen. Das Ganze würde Sinn machen, wenn Russland plant, den Westen materiell ausbluten zu lassen, um die Frage der europäischen Sicherheit, die Putin im Dezember 2021 gestellt hat, neu zu stellen, allerdings schon unter anderen Vorzeichen und aus einer anderen Stärkeposition heraus. Aber, wie schon gesagt, diese Erklärung ist wohl eine der unwahrscheinlichsten Varianten.
Bleibt somit die Frage nach der Fähigkeit des Westens, die Friedensindustrie auf Kriegsindustrie umzustellen, um den Verbrauch an Waffen und Munition so auszugleichen, dass die eigene Verteidigung des Landes nicht gefährdet wird. Und es bleibt die Frage, ob man die Umstellung der Friedensindustrie auf Kriegsindustrie auch der eigenen Bevölkerung so erklären kann, dass diese ähnlich begeistert ist, wie es die deutsche Bevölkerung im Jahre 1943 im Berliner Sportpalast war.
Die Rede des deutschen Bundespräsidenten Steinmeier am heutigen Tag hat das deutsche Volk schon auf Konfrontationskurs mit Russland gebracht. Hoffentlich haben alle verstanden, dass Deutschland am heutigen Tag zum Datum 9. Mai 1945 zurückkatapultiert wurde.
Sie sahen einen Beitrag von „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Tschüss und Poka aus Kaliningrad
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Kommentare ( 4 )
Müller-Thurgau
Veröffentlicht: 28. Oktober 2022 21:42 pmFragen über Fragen. - Ich hoffe, daß wir irgendwann auf diese Zeit zurückblicken und sagen können: „Doch, im großen und ganzen war alles richtig, wir waren eine Zeitlang zu kleinmütig.“
Ich denke aber dennoch, daß der Moment des zufriedenen Rückblicks möglichst nicht allzu fern sein sollte, denn die gegenwärtigen Opfer sind zu groß. Einen schlechten Ausgang der Ereignisse wollen wir uns gar nicht vorstellen.
A. Bienenfreund
Veröffentlicht: 28. Oktober 2022 23:00 pmIch neige zu der „sehr gewöhnungsbedürftigen Erklärung“. Denn es sollte immer klar sein, dass der Konflikt nicht nur um den Donbass oder die Ukraine geht, dass sind nur Symptome eines viel größeren Konflikts, sondern im vollen Wortsinn um die „künftige Weltordnung“. Und das Oberkommando muß das im Blick behalten, die vielen Kräfte ausbalancieren, damit man nicht plötzlich stürzt und geschlagen wird. Geopolitische Prozesse haben die unangenehme Eigenschaft, sich hinzuziehen, unsere Geduld zu foltern, unsere Hoffnungen und Glauben zu testen. Darum: Работайте, братья!
Bastian Радебергер Radeberger
Veröffentlicht: 29. Oktober 2022 00:48 pmViele Varianten, viele nicht genutzte Möglichkeiten.
Warum, so stellt sich - mir - die Frage zusätzlich zu der sehr klugen aufgezeigten Möglichkeit von General Alexander Michailow, zumindest den Eisenbahntransport zu behindern, warum werden nicht alle wichtigen Verkehrswege in Grenznähe der Ukraine zum Westen unbrauchbar gemacht - Autobahnen, Landstraßen, Schienenwege, Wasserstraßen, Flughäfen - ?
Es würden nicht nur militärische Güter, vor allem schwere Waffen und deren Munition, vom schnellen Verkehr ausgeschlossen. Auch dieser Politikertourismus nach Kiew und deren anschließenden Lügen und das geheuchelte Mitgefühl, welches in den Herkunftsländern dieser Polithansel auf offene Ohren trifft, wären wohl passe´.
Diese Ausweichrouten über langsame Landstraßen, irgendwelche Bahnnebenstrecken sind doch leichter zu überwachen und gegebenenfalls zu zerstören. Die Airforce der Natoländer werden sich hüten, auf irgendwelchen unbekannten Schotter- oder Rasenpisten weit im Inland zu landen.
Anton Amler
Veröffentlicht: 29. Oktober 2022 09:49 pmSpätestens die Sprengung an der Krim-Brücke hat gezeigt, wie man diesem Thema auch begegnen könnte, falls man es will.
Aber es wird auch eine Zeit "danach" geben.
Und was die Präzision betrifft, so sollte man sich vielleicht an die Grußbotschaften nach Syrien aus der Kaspisee erinnern.
Mit "Kinschals" würde man nur Perlen vor die Säue werfen, denn die sind prophylaktisch sicher schon, frei nach US-Art, in lateinischen Lettern mit den Namen von Flugzeugträgern beschriftet!
Redundant dazu, werden die Chinesen aus Nationalstolz sicher nicht auf die Beschriftung mit ihrer Bilderschrift verzichten, denn das sollte man im großen Zusammenhang immer im Hinterkopf behalten.
Falls beabsichtigt, hätte Rußland sich den Ballast "Gesamtukraine" 2014 aneignen können, tat es aber nicht.
Wenn man davon ausgeht, welche Bedingungen man bisher an EU-Beitrittskandidaten stellt, dann könnte UK gegen Ende des Jahrhunderts mit einer Mitgliedschaft in einer dann nicht mehr existenten Desorganisation rechnen!