Russlands langer Tag in die geordnete Zivilgesellschaft

Russlands langer Tag in die geordnete Zivilgesellschaft
 
In Deutschland gibt es ein geflügeltes Wort: „Unter dem Kaiser wäre dies nicht passiert.“ In Russland wird immer häufiger daran erinnert, dass viele Dinge, die heute in Russland passieren, in der Sowjetunion nicht möglich gewesen wären. Aber viele Dinge sind traurige Realität.
 
 
Gegenwärtig beschäftige ich mich mit der Erarbeitung einer umfangreichen Serie von Beiträgen, die zeigen werden, wie es zum Zerfall der Sowjetunion, zur Kolonialisierung Russlands, zum Entstehen der Oligarchen, zum Landesverrat, zum Ausverkauf des Landes kommen konnte.
 
Das Jahrzehnt unter der Herrschaft des Separatisten Boris Jelzin hat, so zumindest mein Eindruck, Russland in seiner Entwicklung um mindestens 30 Jahre zurückgeworfen. Putin ist jetzt rund 20 Jahre damit beschäftigt, die Folgen von Verrat und Ausverkauf zu korrigieren. Selbst wenn er noch weitere zehn Jahre die Geschicke des Landes leiten will und kann, wird er es nicht schaffen, all das, was vor ihm geschehen ist, auszugleichen. Um ein Land aufzubauen, braucht es Jahrzehnte, um es zu zerstören häufig nur wenige Augenblicke.
 
Soweit zu einer kleinen Eigenreklame auf zukünftige Beiträge in diesem Kanal, deren Vorbereitung sehr zeitaufwendig sind.
 
Nun zu einem Beispiel, wie die 90er Jahre, die Zeit der völligen Gesetzlosigkeit, die Menschen verdorben haben und diese Verdorbenheit bis heute anhält, denn viele haben noch nicht verstanden und wollen es anscheinend auch nicht verstehen, dass die Zeiten sich ändern. Man treibt sein kriminelles Verhalten weiter, bis der Staatsanwalt an die Tür klopft. Man arbeitet und lebt anscheinend nach dem Motto: „Alles oder Nichts“. Häufig endet diese Lebenseinstellung im „Nichts“ bzw. in einer Zelle.
 
So hat ein Gericht im Krai Krasnodarsk eine Familie zu sieben und acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Mit anderen Worten, die Familie wird rund zehn Prozent der statistischen Lebenserwartung hinter Gittern verbringen.
 
Betroffen ist der Leiter der Filiale einer Universität und Mitglieder der Prüfungskommission für die Immatrikulierung von Studenten. Sie werden beschuldigt im Massenumfang Schmiergelder entgegengenommen zu haben.
 
Der Straftatbestand wird dadurch verschärft, dass es sich um eine Gruppe von Menschen handelt, die das System der Schmiergeldzahlungen organisiert hatte. Initiator war der Direktor der Filiale, der diese Gruppe im Jahre 2013 schuf, also zu einem Zeitraum, wo Russland gerade den ersten ernsthaften Versuch einer Bunten Revolution abgewehrt hatte. Vielleicht hatte sich der Direktor davon leiten lassen, dass der Staat andere Sorgen hat, als sich um die kleinen Machenschaften kleiner Direktoren zu kümmern. Aber immerhin haben die Ermittler festgestellt, dass es sich um insgesamt 4,3 Mio. Rubel handelte, die sich die Gruppe angeeignet hat. Teilen Sie diese Summe durch 80 und sie werden feststellen, dass 54.000 Euro im Verlaufe von rund sieben Jahren auf keinen Fall das Risiko rechtfertigt, durch den Staat zur Verantwortung gezogen zu werden. Und, das Urteil mit bis zu acht Jahren Freiheitsentzug zeigt ja: Kleine Ursache, große Wirkung.
 
Um das System möglichst perfekt zu machen, hat der Direktor seine Tochter mit einbezogen, die, nachdem er den Posten des Direktors verlassen hatte, seine Nachfolgerin wurde. Und es gab noch vier weitere Mitglieder in dieser Gruppe.
 
Die Studenten bezahlten Schmiergeld, um ohne Aufnahmeprüfung zum Studium zugelassen zu werden. Und die Studenten bekamen ein Abschlussdiplom ohne jemals ein Studium durchgeführt zu haben.
 
Man stelle sich vor, dass diese theoretischen Studenten sich mit dem theoretischen Abschlusszeugnis irgendwo bewerben und in verantwortliche Funktionen berufen werden. Mich beruhigt der Fakt, dass es sich bei der Universität nicht um eine medizinische Bildungseinrichtung handelt. Allerdings kann ich mich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren … ob es sowas auch an medizinischen Universitäten gibt. Muss ich mir jetzt Sorgen machen, wenn sich mein Blinddarm entzündet und ich den Arzt, der mich operieren will, erstmal nach Zeugen befragen muss, die mir sein Studium bestätigen können.
 
Und es gab noch einen weiteren Vorwurf.
 
Der Direktor der Universitätsfiliale soll einen Offizier des russischen Sicherheitsdienstes fiktiv als Lehrer in seiner Bildungseinrichtung eingestellt haben. Acht Jahre hat dieser FSB-Offizier ein Gehalt bezogen, aber keinen einzigen Unterricht abgehalten. Der Direktor behauptete während der Gerichtsverhandlung, dass man ihn gezwungen habe, diesen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes einzustellen. Ob er mit seiner Behauptung Recht hat, wird sich bald herausstellen, denn gegen den FSB-Mitarbeiter wird seit 2019 ermittelt – ein doch schon recht langes Ermittlungsverfahren, welches aber die Richtigkeit der Worte von Putin zeigt: Vor dem Gesetz sind alle gleich und keine Funktion und kein Friedensnobelpreis schützt jemanden, wenn dieser Gesetze verletzt.
 
Ach so, um dieses Thema korrekt abzuschließen. Der Direktor wurde zu acht Jahren und neun Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Danach darf er eine Strafe von 29 Mio. Rubel zahlen, also das siebenfache der erhaltenen Schmiergeldsumme. Seine Tochter wurde zu acht Jahren Haft und einer Strafzahlung von 19 Mio. Rubel verurteilt. Die vier Mitarbeiter der Prüfungskommission wurden zu je sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt.
 
Was sagt uns jetzt dieses Urteil: Im Jahre 2029 wird die russische Statistik zwei „Arme russische Bürger“ mehr aufweisen, denn Vater und Tochter werden für den Rest ihres Lebens all das abgeben müssen, was über dem Existenzminimum liegt. Die Gerichtsvollzieher arbeiten in Russland nicht schlecht.
 

 

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Kommentare ( 8 )

  • Anton Amler

    Veröffentlicht: 18. Oktober 2021 19:33 pm

    Hallo Herr Niemeier!
    Zunächst mal meine besten Wünsche für das Gelingen des gewaltigen Pensums, das jetzt vor Ihnen liegt.
    Wahrscheinlich ist Ihnen bewußt, daß ich das alles sehr schätze.
    Seit ich weiß, daß die Anzahl der Aufrufe den Kanal trägt, ärgere ich mich nicht mehr über Vieles, was auch nicht hätte gesagt werden müssen.
    Wenn meine Kommentare manches erweiternd betrachten, dann soll es helfen.
    Als Vorkriegskind hat mich das Elend erst nach dem Krieg durch Verlust von Heimat, Hab und Gut erreicht, und das damals gängige Verständnis von "nie wieder Krieg" tief in mir eingebrannt.
    Wir hatten den einfachen Sowjetbürger im täglichen Umgang, und es war mir unbegreiflich, wie diese trotz eigenem Erleben, oder durch Kenntnis über ihre Väter, so hassfrei mit uns umgehen konnten.
    Damals habe ich verstanden, daß man der vom Westen hereingetragenen Ideologie etwas entgegenstellen muß, unnd ich habe gehandelt.
    Fazit:
    Will Rußland bestehen, muß es ohne Bedenken Störungen nicht zulassen!!!!!!

    • Uwe Erich Niemeier

      Veröffentlicht: 18. Oktober 2021 21:29

      ... ja, so ist es. Wenn man möglichst viele Menschen erreichen will, muss man Aufmerksamkeit erregen. Dazu gehört dann auch mal Formulierungen und Aussagen, die gewagt und provozierend sind - natürlich nur bis zur erträglichen Grenze. Blogger haben da gegenüber Journalisten mehr Freiheiten. Und natürlich sind die Aufrufzahlen von Videos das A und O. Youtube hat verschiedene technische Algorithmen, die auf diese oder jene Dinge reagieren, Videos empfehlen oder sogar Playlist oder sogar Kanäle. So wie für den Opernsänger der anschließende Beifall häufig mehr wert ist als das Gehalt was er bekommt, sind die Klickzahlen für die Blogger das Wichtigste ... zumindest ist es bei mir so. Es zwingt ja niemand niemanden, die Videos anzuschauen. Und wer es doch tut, tut dies freiwillig, weil die Videos irgendwie für ihn interessant sind. Und wenn man eine halbe Million Videoabrufe im Monat hat, so macht das doch schon ein wenig stolz und zufrieden.

  • Anton Amler

    Veröffentlicht: 19. Oktober 2021 11:02 pm

    meiner Aufrufe können Sie sicher sein.

  • Jenenser

    Veröffentlicht: 20. Oktober 2021 09:25 pm

    Hallo Uwe! Gespannt warte ich auf Deine Beiträge. Vielleicht lassen sich diese historischen Ereignisse mit eigenen Erlebnissen und Empfindungen in dieser Zeit verbinden. Denn mit dem Ablegen des Fahneneides der NVA bestand ja bis April 1990 eine gewisse Beziehung zur Armee dieser Sowjetunion. Und nicht vergessen, Dein Studium an der Militärakademie in Leningrad. Natürlich besteht die Gefahr, Erinnerungen an damals mit dem Wissen von heute zu übermalen. Doch möglicherweise begann dieser Geschichtsprozess zunächst mit Hoffnung und Aufbruchstimmung, den Du bereit warst umfangreich zu unterstützen. Das enttäuschende Ergebnis ist bekannt und wird von Dir eingangs Deines Beitrages sehr gut beschrieben. Wer regelmäßig durch Russland reist, erkennt die positiven Veränderungen im Lande seit der Amtsübernahme durch Wladimir Putin. In Deinen Beiträgen erkenne ich jedoch stets eine gewisse Angst vor dem Rückfall, sollte er persönlich die Geschicke nicht mehr in der Hand haben. Ein Irrtum?
    Gruß Jan

    • Uwe Erich Niemeier

      Veröffentlicht: 20. Oktober 2021 23:03

      ... der Beginn der Serie dauert noch ein wenig, denn ich möchte nach Möglichkeit die Komplettserie fertiggestellt haben, um sie dann planmäßig veröffentlichen zu können. Es wird wohl noch zwei bis vier Wochen vergehen.

      Ja, natürlich habe ich Befürchtungen, dass es im Lande wieder Rückschläge geben könnte. Aber die Befürchtungen sind in diesem Jahr weniger geworden, als man endlich begonnen hatte, auf die Meinungen der westlichen Demokratien und deren Geschrei um die Menschenrechte zu pfeifen und die Ordnung zu schaffen, die man im Lande benötigt, um seine eigene Entwicklung umzusetzen. Es wird aufgeräumt im Land ... das ist zu merken ... Die Zeit der Kolonialisierung und des Fehlens der eigenen Souveränität neigen sich dem Ende.

  • Anton Amler

    Veröffentlicht: 20. Oktober 2021 11:50 pm

    nochmal ganz was anderes.
    Mein über 60 Jahre alter "Lochowiz" aus der Studienzeit ist arg ergraut.
    Ein zum Jahresende erhältliches aktuelles Wörterbuch "RUSSISCH/DEUTSCH" zum Preis ab 75,- Euro muß es nicht sein.
    Können Sie mir eine Info über ein adäquates Erzeugnis aus Rußland zukommen lassen, mit Angaben zu Kosten und Bezugsmöglichkeit?
    Ich wäre Ihnen sehr verbunden.
    mfG

    • Uwe Erich Niemeier

      Veröffentlicht: 20. Oktober 2021 23:04

      ... kennen Sie die Möglichkeiten der Internet-Wörterbücher? Die sind alle kostenlos und wesentlich besser als jedes alte Wörterbuch. Über diese Programme werden nicht nur einzelne Wörter übersetzt, sondern ganze Sätze und Artikel.

  • Bastian Радебергер Radeberger

    Veröffentlicht: 21. Oktober 2021 00:46 pm

    Hallo Herr Amler,
    da möchte ich doch meinen Senf dazu geben. Erichowitsch hat vollkommen Recht. Da gibt es ein deutsches Übersetzungsprogramm, daß sich - deepl - nennt. Das ist entschieden besser als das von Gurgel oder Yandex. Das gibt es in einer kostenlosen Variante und einer umfangreicheren Bezahl - Variante.

  • Anton Amler

    Veröffentlicht: 21. Oktober 2021 12:11 pm

    Herzlichen Dank den beiden Vorkommentatoren.
    Ich Oldtimer bin halt immer noch an den Gebrauch von Büchern gewöhnt, wo man mit dem Finger arbeitet und Zettel einlegt.
    Zum schnelleren Auffinden hatte ich meinen alten "Lochowiz" an den einzelnen Buchstaben mit kleinen Markierungen aufgepäppelt.
    Mein größtes Problem dürfte der computermäßige Umgang mit dem oder den Programmen werden, und die Frage, wie ich wechselseitig mit den Tastaturen zurecht komme.
    Meine Russischkenntnisse habe ich zwischen 1948 und 1964 durchgängig erworben. Da war mal sehr viel da, konnte Schreiben wie die Mutterschrift.
    Aber seit 1970 bin ich völlig abstinent, eingebunden in ein anderes System, andere Sprachanforderung und anderer Lebensart.
    Es gibt unzählige Stammtische, aber keinen in Russisch - trotz vieler Russischstämmiger.
    Eine Antwort ist mir der "Radeberger" noch schuldig, ob ihn, wie mich, mit der Stadt etwas verbindet?
    Gott zum Gruße, der ja bekanntlich keinen echten Marxisten verläßt!

    • Uwe Erich Niemeier

      Veröffentlicht: 21. Oktober 2021 12:53

      ... Sie brauchen keine großen PC-Kenntnisse für ein Übersetzungsprogramm. Tasten wir uns doch gemeinsam einmal an die Thematik ran. Meine Frage:
      1. Arbeiten Sie mit der Suchmaschine "Google"
      2. Arbeiten Sie mit dem Textverarbeitungsprogramm "Word".
      Einfach nur mit Ja oder Nein antworten. Danach gibt es den nächsten Schritt ...

  • Anton Amler

    Veröffentlicht: 22. Oktober 2021 12:28 pm

    zu 1. ja
    zu 2. jein - arbeiten wäre zu viel gesagt, aber ich nutze es zeitweilig mit eingeschränkter Fähigkeit.
    Ergänzend muß ich sagen, daß ich mir gestern deepl 2.9 aufgespielt habe, mit ersten Erfolgen.
    Im Moment habe ich einen Text markiert, und über "copy" eingefügt - hat geklappt - das Ergebnis war verblüffend.
    Muß mich halt herantasten.
    Ich habe das Programm, nach dem fremdländische Studenten in der SU die Sprache erlernten, um studienfähig zu werden.
    Will es mal wieder aktivieren.
    Meine Frage geht dahin, wie ich es mit der Schrifteingabe handhaben soll?
    Meine seit mehr als 20 Jahren bestehende Affinität zu Kreta hat mich veranlasst, mich im Alter noch mit Neugriechisch zu befassen.
    Dafür habe ich eine spezielle Tastatur, alles nicht ganz einfach.
    Wird es sich mit Russisch genau so verhalten, oder kann ich mir per Klick diese Tastatur auf den Bildschirm legen, und dort per Maus Text eingeben?
    Das eilt aber vorerst nicht.
    Danke für die Hilfestellung.
    mfG

    • Uwe Erich Niemeier

      Veröffentlicht: 22. Oktober 2021 16:32

      ... wenn Sie mit dem jetzt von Ihnen genutzten Übersetzungsprogramm nicht klarkommen, können Sie auch den Google-Übersetzer nutzen. Hier der Link: https://translate.google.de/

      Dann gibt es auch einen direkten Übersetzer im Wort-Textverarbeitungsprogramm. Ich nutze beide Übersetzer, je nach Notwendigkeit und Bequemlichkeit. Aber mit Ihrem Programm und dem Google-Übersetzer müssten Sie eigentlich perfekt ausgestattet sein.

      Ich selber nutze eine russisch-deutsche Sprachtastatur. Natürlich gibt es auch Bildschirmtastaturen, aber die Installation ist dermaßen individuell, dass ich da leider nichts verständliches und zum Ziel führendes erklären kann.

  • Anton Amler

    Veröffentlicht: 23. Oktober 2021 11:23 pm

    muß ich mir unter einer Russisch/Deutschen Sprachtastatur etwas vorstellen, wo die Tasten zweifach beschriftet sind, und man durch eine Umschalttaste zwischen den Sprachen wechselt?

    • Uwe Erich Niemeier

      Veröffentlicht: 23. Oktober 2021 13:16

      ... richtig. Aber die werden Sie im ganz normalen Handel so nicht bekommen. Es besteht ja in Deutschland kaum Bedarf an solchen Tastaturen. Vielleicht gibt es so etwas über online-Shops, aber da bin ich auch überfragt, da ich in Deutschland so gut wie nie etwas kaufe, schon gar nicht über Internet. Aber vielleicht lesen ja andere hier mit, die da weiterhelfen können.

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