Saunagespräch: Reichen 1,5 Millionen?

Saunagespräch: Reichen 1,5 Millionen?
 
Gespräche in einer russischen Sauna sind vermutlich zu vergleichen mit Gesprächen an einem deutschen Stammtisch. Während der Russe deutsches Bier kennt, kennen nur wenige Deutsche eine russische Sauna. Ich möchte Sie an den Gesprächen teilhaben lassen, die dort jeden Morgen, mehr oder weniger hitzig, geführt werden.
 
 
Es gibt in unserer Sauna, im Informationszentrum Nord in Kaliningrad, keine Gesprächsplanung. Und somit kann sich auch niemand auf ein konkretes Thema vorbereiten, um perfekte Antworten zu liefern. Alles ist spontan. Natürlich wird auch nicht jeden Tag diskutiert. Es gibt Zeiten, da sitzen alle nur da und schwitzen, hoffend, dass irgendeiner ein Stichwort vorgibt, damit die Diskussion beginnen kann.
 
Und so war es diesmal. Unser Liberalissimus schaute mich plötzlich an – warum ausgerechnet mich, ist mir nicht ganz klar, denn es waren noch mindestens vier andere im Raum – und fragte: „1,5 Millionen – reichen die?“
 
Zum Glück bin ich ein recht aufmerksamer Leser russischer Medien und so war mir sofort klar, dass der Liberalissimus nicht wissen wollte, ob mir eine Rente von 1,5 Mio. Rubel monatlich ausreichend sind, sondern er meinte 1,5 Mio. Soldaten, die die russische Armee in Kürze haben soll. Der russische Verteidigungsminister Schoigu hatte umfangreiche Reformen in der russischen Armee angekündigt und eine der Maßnahmen, die umgesetzt werden sollen, ist eben die Aufstockung des Personalbestandes.
 
Der russische Botschafter in der Türkei informierte, dass ausländische Firmen, bedingt durch die westlichen Sanktionen, 240 Milliarden USD Verluste bisher eingefahren haben. Somit ist klar, dass die Sanktionen in erster Linie die schädigen, von denen sie ausgehen. Der Botschafter verwies auf die Wirtschaft der betroffenen Länder und darauf, dass viele vor einer Rezession stehen, von der unglaublich hohen Inflation ganz zu schweigen. Die gestohlenen Valutareserven im Umfang von 300 Mrd. USD durch die westlichen Staaten, haben viele andere Staaten in der Welt nachdenklich gemacht und veranlasst, ihre eigene Währungspolitik zu reformieren und ausgelagerte Valuta in das eigene Land zurückzuholen oder Reserven in Gold anzulegen, um sich dem Einfluss des Dollars zu entziehen.
 
Zum Glück hatte ich mir schon vor Monaten darüber privat Gedanken gemacht, als ich den Verlauf der Teilmobilmachung verfolgte. Ich kam zu der Schlussfolgerung, dass, wenn die russische Armee einen militärischen Personalbestand von mindestens zwei Millionen Vertragssoldaten gehabt hätte, eine Mobilmachung überhaupt nicht notwendig gewesen wäre.
 
Somit konnte ich unserem Liberalissimus sofort antworten: „Nein, die reichen nicht aus.“
 
Er war erstaunt, denn vermutlich hatte er wohl von mir eine Lobeshymne auf die klugen und weitsichtigen Entscheidungen der russischen Führung erwartet. Und die blieb nun aus.
 
Auch die anderen Anwesenden warteten natürlich nun, wie ich weiter argumentieren würde. Viele, die in der Sauna-Runde sitzen, sind auch Militärs, oder waren zumindest Militärs. Und so sind natürlich Meinungen von Exildeutschen interessant.
 
Ich kenne mich nicht aus in der russischen Armee. Aber alleine die Meldungen, die es in Unmengen gab und die über den Verlauf der Teilmobilmachung im vergangenen Jahr berichteten, zeigen doch, dass das ganze System sehr schwach organisiert ist. Wenn die Einberufung selber schon chaotisch verläuft, so steht für mich auch die Frage nach den eingelagerten Waffen, Ausrüstungen, Lebensmittel und Bekleidung – häufig keine neuwertigen Dinge. Wer pflegt diese über Jahre und Jahrzehnte und hält sie einsatzbereit?
 
Der Chef der europäischen Diplomaten Josep Borrell informierte, dass die Länder der Europäischen Union bisher 50 Milliarden Euro investiert haben, davon zehn Milliarden für militärische Ausrüstungen, um der Ukraine zu helfen. Anscheinend hofft die Europäische Union diese Gelder zurückzuerhalten, denn die Verlautbarungen besagen, dass ein Großteil der Gelder zu günstigen Kreditbedingungen zur Verfügung gestellt wurde. Die Ukraine erhält für die Rückzahlung der Kredite 35 Jahre Zeit.
 
Meine Darlegungen wurden schweigend entgegengenommen – ein Zeichen, dass entweder die Anwesenden über das Mobilmachungssystem nicht informiert waren oder aber sie wussten, dass meine unausgesprochenen Befürchtungen der Wahrheit entsprachen.
 
Die russische Armee scheint, so mein Eindruck, überhaupt nicht mehr darauf orientiert zu sein, die Sicherheit Russlands auch außerhalb des russischen Territoriums zu verteidigen. Die Amerikaner haben da eine ganz andere Einstellung und Russland sollte, so meinte ich, zu den Zeiten der Sowjetunion zurückkehren und Stützpunkte weltweit einrichten – zum einen dort, wo Russland persönliche Sicherheitsinteressen hat, zum anderen dort, wo andere Staaten den Schutz Russlands erbitten. Wenn die NATO Richtung Osten vorrücken kann, so sollte Russland dies auch Richtung Westen tun können. Und hierfür braucht man wesentlich mehr Soldaten, Vertragssoldaten.
 
Der Liberalissimus unterbrach mich und meinte, dass das alles sehr teuer wird und er nicht bereit sei, dies zu finanzieren.
 
Richtig, niemand zweifelt, dass die Sicherheit Russlands eine teure Angelegenheit ist. Aber wer seine eigene Armee nicht richtig ernährt und kleidet, wird bald fremde Armeen ernähren und kleiden … soll mal ein russischer Heerführer gesagt haben – erwiderte ich.
 
Die Regierungsverantwortlichen in der Zentralafrikanischen Republik informierten, dass man daran interessiert sei, dass Russland zusätzliche Militärberater in die Republik entsende. Die bisherige militärische Zusammenarbeit mit Russland wurde durch den Premierminister als vorteilhaft eingeschätzt. Die Regierung plant in dieser Frage eine Volksbefragung. Man gehe von einer Zustimmung aus, da die Anwesenheit russischer Militärs zu einem Ende von anderen Militärgruppierungen führen wird. Russland unterhält seit 2012 eine Beratergruppe in der ZAR. Außer russischem Militär befindet sich in der Republik auch Vertreter der Wagner-Organisation.
 
Wenn Russland Schritt für Schritt eine Armee mit 2,5 Millionen Mann aufbaut, davon zwei Millionen Vertragssoldaten und 500.000 Wehrpflichtige, dann müsste es einerseits möglich sein, dass die Wehrpflichtigen Aufgaben der Landesverteidigung innerhalb der russischen Föderation übernehmen und die zwei Millionen Vertragssoldaten stehen für Sicherheitseinsätze zur Verfügung, die auch außerhalb Russlands stattfinden können. Eine Mobilmachung steht also zukünftig überhaupt nicht mehr zur Debatte – es sei denn, der Feind steht schon vor den Toren Moskaus und es wird zum Volkssturm gerufen – ergänzte ich meine Darlegungen.
 
Hinzu kommt, dass die Mobilisierten nur bedingt einsatzbereit sind, sie in Schnellkursen die Bedienung moderner Waffensysteme erlernen müssen, der Einsatz also erst mit monatelanger Verspätung erfolgt. Ein wenig erfreulicher Umstand, wenn die Luft brennt.
 
Wenn es dann noch Prigoschin, dem Verantwortlichen für die Wagner-Organisation, gelingt, seine Pläne zur Ausbildung von Firmenangehörigen in den „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ umzusetzen, würde ich mir keine großen Sorgen um die Sicherheit Russlands mehr machen – beendete ich meinen Monolog.
 
 
Erstaunlicherweise gab es keinen Widerspruch, es gab auch keine Ergänzungen. Alle saßen nur da und hörten zu. Vielleicht lag es daran, dass nicht nur das Thema sehr heiß war, sondern auch die Temperatur in der Sauna schon auf 98 Grad gestiegen war.
 
Sie sahen einen Beitrag von „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihr Interesse. Tschüss und Poka aus Kaliningrad.
 
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