Saunagespräch: Schließt Russland das deutsche Generalkonsulat in Kaliningrad?


Gespräche in einer russischen Sauna sind vermutlich zu vergleichen mit Gesprächen an einem deutschen Stammtisch. Während der Russe deutsches Bier kennt, kennen nur wenige Deutsche eine russische Sauna. Ich möchte Sie an den Gesprächen teilhaben lassen, die dort jeden Morgen, mehr oder weniger hitzig, geführt werden.
Die letzten Besuche in der Kaliningrader Sauna verliefen ziemlich ruhig, fast hätte ich gesagt depressiv. Einige unserer ständigen Kollektivmitglieder kommen weniger regelmäßig – wahrscheinlich beruflich veranlasst. Andere haben ihren Zeitplan ein wenig verschoben und kommen später. Seit einigen Tagen funktioniert das Blubberbecken nicht mehr und der diensthabende Heizer scheint kein Sauna-Fan zu sein, denn er kennt die Mindesttemperaturen für einen Saunabesuch nicht. Und, was wohl das Wichtigste ist – die Stimmung ist irgendwie nicht mehr so, wie sie früher war. Es gibt eben im Augenblick wenig Positives zu diskutieren. Wenn dann plötzlich ein neues Gesicht auftaucht, dann ist das schon ein Ereignis – welches wortlos bemerkt wird. Und so passiert es eben, dass wir einfach nur dasitzen und schwitzen.
Plötzlich unterbrach einer der Wenigen die schwitzende Stille und fragte wie üblich: „Erichowitsch, was gibt es Neues in Deutschland?“
Keine Ahnung, ich schaue gegenwärtig wenig deutsches Fernsehen. Das Hauptthema ist die Fußball-Weltmeisterschaft und die interessiert mich eigentlich nur in wenigen Detailfragen – ich habe zur Kenntnis genommen, dass Deutschland das erste Spiel verloren hat und ich hoffe, dass es auch das zweite Spiel gegen Spanien verliert. Damit ist das Thema durch. In einem Monat gibt es dann vielleicht wieder Neuigkeiten aus Deutschland, die wir diskutieren können.
„Meta“ (Facebook, Instagram) ist in Russland schon seit einigen Monaten als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Jetzt ist sie unter der Nummer 96 in der Extremismus- und Terrorismus-Datenbank des russischen Justizministeriums erfasst worden. Grund hierfür war, dass die Firma es ihren ukrainischen Nutzern ausdrücklich gestattet hatte, zu gewaltsamen Handlungen gegen russische Bürger aufzurufen.
„Und was sagen Sie zu den Ereignissen in Leipzig“? – fragte ein neues Gesicht in unserer Runde.
Ich war etwas überfragt, denn irgendetwas Interessantes aus Leipzig war mir nicht bekannt. Gab es dort Großdemonstrationen – so wie 1989? Frieren die Leipziger schon? Fordern sie, dass Scholz und andere Regierungsmitglieder wegen Verletzung des Amtseides vor Gericht gestellt werden?
Nein, meinte der Neue. Das alles passiert da nicht. Aber die Leipziger Stadtverwaltung will eine Straße umbenennen. Die „Turmgutstrasse“ soll in „Boris-Romanschenko-Strasse“ umbenannt werden.
„Aha“ – antwortete ich und schaute mit leicht gläsernen verschwitzten Augen den Neuen fragend an. Mir sagt weder die Turmgutstrasse etwas, noch ist mir dieser Boris Romanschenko bekannt.
Das russische Finanzministerium sucht nach Möglichkeiten, um russische eingefrorene Aktiva im Westen gegen westliche Aktiva, die in Russland eingefroren worden, einzutauschen. Hierzu sind jedoch umfangreiche Gesetzesänderungen nötig – so der Finanzminister Siluanow. Hinzu kommt noch, dass eine objektive Bewertung der Aktiva erfolgen müsse, um einen gleichwertigen Austausch vorzunehmen.
Boris Romantschenko, erklärte uns der Neue, ist Ukrainer, Jahrgang 1926. Er hat mehrere deutsche Konzentrationslager überlebt. Am 18. März dieses Jahres ist er während eines Angriffs ums Leben gekommen. Eine Granate ist in seine Wohnung eingeschlagen und hat ihn getötet. Natürlich war es eine russische Granate – wer würde daran in Deutschland zweifeln.
Wir hörten alle zu und vermutlich dachten viele, dass dies natürlich ein trauriges Schicksal ist. Aber es gibt viele solcher Schicksale auf beiden Seiten, wo Zivilisten sterben.
Und warum soll nun eine Straße in Leipzig umbenannt werden, wollte ein Altmitglied unserer Saunarunde wissen. Es gibt viele solcher bedauerlichen Schicksale und will Deutschland alle seine Straßen jetzt umbenennen?
Der russische Finanzminister informierte, dass die europäische Depistarfirma „Euroclaer und Clearstream“, die die eingefrorenen russischen Aktiva verwaltet, im dritten Quartal einen Umsatz von 340 Mio. Euro meldete, den die Firma mit den gestohlenen Geldern erzielt hat.
Die Turmgutstrasse ist nicht irgendeine Straße in Leipzig. Dort befindet sich das russische Generalkonsulat – wurde uns erklärt.
Ahhhh, alles klar – war die einhellige Reaktion aller Anwesenden und man winkte ab. Haben wir ja alles schon hinter uns. Wird in vielen russophoben Staaten so gemacht, um Russland irgendwie zu demütigen. Da stehen wir drüber … das halten wir durch.
Völlig unerwartet für uns meinte der Liberalissimus, dass man das aber so nicht hinnehmen könne.
Wir schauten ihn fragend an. Natürlich hatten wir in der letzten Zeit bemerkt, dass er irgendwie weniger liberal diskutierte und begann, ein wenig auf unsere patriotische Linie einzuschwenken.
Zwei wesentliche Sozialanalysefirmen führen regelmäßige Umfragen zur Person des russischen Präsidenten und seiner Akzeptanz in der russischen Gesellschaft durch. WZIOM, eine regierungsnahe Firma ermittelte, dass rund 79 % aller Russen mit Putin zufrieden sind. Zum gleichen Ergebnis kommt der „Ausländische Agent Levada-Zentrum“ bei seiner Umfrage.
„Wir sollten auch eine Straße umbenennen“, meinte er. Am besten die, wo sich das deutsche Generalkonsulat befindet.
Jetzt wurde unsere Runde mobil und ich wurde schweigsam. Es war schon interessant zu beobachten, wie sich die waschechten Russen zum empfindlichen Thema des deutschen Generalkonsulats in Kaliningrad äußern und ich wollte mit meiner ausgesprochen extremen Meinung die Diskussion nicht beeinflussen.
Und wie soll die Straße heißen – fragte einer.
Der Neue machte sofort einen Vorschlag: „Straße der 11 Ermordeten“. Uns war klar, dass er die russischen Soldaten meint, die von Angehörigen der ukrainischen Armee vor ein paar Tagen, als sie sich ergeben hatten, ermordet worden waren.
Ein anderer aus unserer Runde meinte, dass eine perspektivische Entscheidung getroffen werden müsste. Die Umbenennung der Straße in Kaliningrad habe keine Perspektive. Zum einen handelt es sich um die Thälmannstraße, also eine Bezeichnung mit wertvollem historischem deutschem Bezug, auf den Russland nicht verzichten sollte. Zum anderen hat das deutsche Generalkonsulat in Kaliningrad sowieso keine Zukunft mehr. „Die Generalkonsulate kommen und gehen, die Straße aber bleibt“, - so sein leicht abgewandeltes Plagiat – der Genosse Stalin wird es ihm verzeihen.
Wir lachten alle in der Runde und einer fragte sofort: „Wird das deutsche Koordinierungszentrum geschlossen? Wann? Wissen Sie näheres?“
Der Mann winkte ab und meinte: „Später … abwarten und Tee trinken.“
Und er ergänzte, dass es in Moskau ein sogenanntes „Deutsches Dorf“ gäbe, am Prospekt Wernadskowo, eine Wohnsiedlung für deutsche Diplomaten, Geschäftsleute und andere deutsche Vertreter. Vielleicht sollte man das Dorf umbenennen: „Dorf der 11 Ermordeten“, passend zu dem ukrainischen Dorf, in dem die russischen Soldaten ihr Leben lassen mussten.
Wir fanden den Gedanken gut, aber die Entscheidung müssen wir natürlich der Moskauer Stadtverwaltung überlassen. Und was das Schicksal des deutschen Koordinierungszentrums in der Kaliningrader Thälmannstraße anbelangt – tja, da hat wohl auch Moskau das Sagen, falls die Deutschen nicht freiwillig gehen.
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Sie sahen einen Beitrag von „Baltische Welle“. Vielen Dank für Ihr Interesse. Tschüss und Poka aus Kaliningrad.
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