Und wieder hat man Putin unterschätzt


Vor nicht ganz zwei Wochen verkündete Putin Gegensanktionen gegen die sogenannten unfreundlichen Staaten. Sie wurden kaum zur Kenntnis genommen, obwohl sich der Text ziemlich dramatisch anhörte. Gestern wurden die ersten Gegensanktionen verhängt. Auf den ersten Blick erscheinen sie lächerlich – aber eben nur auf den ersten Blick.
30 Jahre lebe und arbeite ich in Russland und kenne das Land trotzdem nicht. Russland legt Denk- und Handlungsweisen vor, die wohl mit der russischen Muttermilch übergeben werden. Wer diese nicht getrunken hat, wird niemals wie ein Russe denken und handeln. Und so kommt es eben zu häufigen Überraschungseffekten im täglichen, insbesondere im aktuellen täglichen Leben für Nicht-Russen.
Als Präsident Putin vor rund zwei Wochen die Gegensanktionen verkündete, hatte ich den Eindruck, als ob Putin einen wirtschaftlichen Atomschlag gegen den Westen führt. Kurz zusammengefasst hatte ich verstanden, dass, wenn der Westen weitere Sanktionen gegen Russland verhängt, Russland keinerlei Waren und Dienstleistungen mehr Richtung Westen verkauft und auch selber im Westen nichts mehr kauft. Da das sechste Sanktionspaket durch den Westen erarbeitet wurde, war mir klar: spätestens Ende Mai bricht die Weltwirtschaft zusammen.
Dann kamen aber Erläuterungen zu diesen Sanktionen, insbesondere hierbei die Aufgabe an Mischustin, die Liste der Staaten, juristischen und Privatpersonen zu erarbeiten, gegen die Sanktionen verhängt werden. Also, so meine Erkenntnis, gibt es keinen wirtschaftlichen Atomschlag, sondern höchstens leisen Trommelwirbel. Ich hatte ganz einfach vergessen, dass Putin schon immer gesagt hat, dass Russland kein Atom einsetzen wird, es sei denn, die Existenz des Landes ist bedroht. Und das scheint wohl nicht der Fall zu sein.
Da niemand im Westen, aber auch in Russland, diese Gegensanktionen so richtig zur Kenntnis nahm, vergaß ich diese auch wieder – wozu sich mit irgendwelchen Nebensächlichkeiten beschäftigen?
Dann wurden gestern die ersten Gegensanktionen gegen 31 Firmen in einer Reihe von westlichen Staaten verkündet, so u.a. in Deutschland, Frankreich, den USA, Singapur, Bulgarien, Rumänien und Polen. Auch die Gasleitung Jamal-Europa, die über Polen läuft, ist davon betroffen.
Mein Problem ist, dass ich auch nicht immer die Veröffentlichungen aufmerksam lese und schnell zu Schlussfolgerungen komme, die oberflächlich sind. Es hätte mich schon stutzig machen müssen, dass in den ersten Veröffentlichungen nur über 31 Firmen – ganz allgemein, gesprochen worden war. Es wurden keine Firmennamen und keine Länder genannt. Auf einer derart mageren Informationsgrundlage, sollte man lieber keine Meinungen veröffentlichen. Aber ich dachte nicht nach und veröffentlichte einen Beitrag, der mit der Schlussfolgerung endete: „Der Berg kreiste und gebar ein Mäuschen.“
Dann erfuhr ich ein paar interessante Einzelheiten, die nun aber auch schon die ganze Welt weiß.
Es handelt sich bei den 31 Firmen fast ausschließlich um russische Firmen, um Tochter- und TochterTochter-Gesellschaften von Gasprom. Wir erinnern uns, dass sich Gasprom ganz schnell von seiner Tochtergesellschaft „Gasprom Germania“ getrennt hatte, als man in Deutschland begann mit Verstaatlichung zu drohen. Und diese Firma hat viele andere Tochtergesellschaften – eben diese, die jetzt im Sanktionspaket enthalten sind. Alle haben etwas mit Gastransport und Gaslagerung zu tun.

Da diese Firmen nun mit Sanktionen belegt sind, darf Russland an diese Firmen kein Gas mehr liefern und auch keine Transportleistungen mehr nutzen. Mit anderen Worten, diese Gaslagerkapazitäten, es sollen 20 Prozent der Gesamtlagerkapazitäten Deutschlands sein, fallen nun für Deutschland, aber auch in den genannten anderen Ländern aus, denn russische Firmen dürfen dorthin kein Gas mehr liefern. Will Deutschland oder die anderen Länder, weiterhin russisches Gas haben und bezahlt dieses russische Gas auch mit russischen Rubeln, so muss dieses Gas in andere Speicher geleitet werden. Ob dies technisch möglich ist – ich weiß es nicht, denn Russland wird keine Lieferungen vornehmen, wenn diese über die Infrastrukturen erfolgt, die mit Sanktionen belegt sind.
Was aber passiert mit den leerstehenden Speichern? Immerhin können … nein, müssen diese 20 Prozent der Gasvorräte Deutschlands speichern. Können diese nun, technisch bedingt, nicht mit Gas von anderen Gaslieferanten beliefert werden, verringern sich die Gasvorräte in Deutschland mit einem Schlag um 20 Prozent.
Da relativieren sich die Aussagen des deutschen Vizekanzlers Robert Habeck vom gestrigen Tag erheblich, als er meinte, dass Deutschland den kommenden Winter überleben wird.
Natürlich wird Deutschland den Winter überleben. Es hat den sehr strengen Hungerwinter 1946/47 überlebt und wird auch den Winter 2022/23 überleben. Ob die deutsche Regierung den Winter überlebt oder die frierende deutsche Bevölkerung den mollig warm geheizten Reichstag und den Kanzlerpalast stürmt, um sich darin aufzuwärmen, bleibt abzuwarten.
Fassen wir zusammen: Man sollte Putin immer aufmerksam zuhören, sich danach einen Tee kochen und über das nachdenken, was er gesagt hat. Zu empfehlen ist auch, sich mit anderen auszutauschen, denn die kollektive Weisheit ist immer noch die beste Weisheit – Erfahrungsaustausch ist immer noch die billigste Investition. Ich habe auf alle Fälle wieder etwas hinzugelernt aus den „ach so lächerlichen Gegensanktionen“ Russlands vom gestrigen Tag.
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Kommentare ( 5 )
Detlef
Veröffentlicht: 12. Mai 2022 14:01 pmIch finde es gut, dass Sie die Infos unverzüglich weitergeben und auch den Hintergrund aus russischer Sicht ansprechen. Dass sich die Dinge mal anders entwickeln als erwartet; das passiert eben.
Den Lieferstopp zu den 31 Firmen verstehe ich immer noch nicht vollständig. Die Fa. Gazprom Germany wurde unter die Verwaltung einer Bundesbehörde gestellt. Wenn eine andere Firma in der BRD, die nicht unter Sanktion steht, Gas erhält, kann doch die Bundesbehörde diese Lieferungen an die sanktionierten Firmen weiterleiten. Das wurde doch schon seit Monaten gemacht. Die Gasleitung von Polen in die BRD wurde umgebaut, so dass Gas aus der BRD nach Polen und weiter in die Ukraine geleitet wurde und wird. Analog dazu kann man reguläre Gaslieferungen auch in die Gasspeicher der sanktionierten Firmen leiten. Selbst als das in Polen bekannt wurde, konnte oder wollte Russland nichts dagegen machen.
Uwe Erich Niemeier
Veröffentlicht: 12. Mai 2022 14:08... meine Information zu den aktuellen Sanktionen sind nicht allumfassend und lassen eben genau die Fragen offen, die Sie gestellt haben - eben deshalb, weil ich mich in den technischen Gegebenheiten in Deutschland nicht auskenne. Deshalb hatte ich in meinem Beitrag auch erwähnt, dass ich nicht weiß, wie alle Gaslagerorte untereinander verknüpft sind und ob es technisch möglich ist, Gas zwischen diesen Lagerstätten umzupumpen. Wenn dies möglich ist, so muss man trotzdem schauen, ob das genutzte Röhrensystem zu den sanktionierten Systemen gehört. Auch dann würde Russland Lieferungen verweigern. Ich gehe einfach davon aus, dass in Russland Fachleute gesessen haben, die sich mit diesen Sanktionen und allen nur möglichen Gegenreaktionen des Westens beschäftigt haben. Uns bleibt jetzt nichts weiter, als abzuwarten, was in der Praxis passiert. Ich persönlich glaube, dass jetzt der Energiekrieg begonnen hat. Der Westen kommentiert, dass Russland Energie als Waffe einsetzt. Und? Wen interessiert die Meinung des Westens in Russland? Niemanden! Wir kämpfen ums Überleben, gegen die Sanktionen des Westens und da ist jedes Mittel recht.
K.J.
Veröffentlicht: 12. Mai 2022 17:02 pmEs wird schon ein chirugisch präziser Eingriff sein, wo so nach und nach klar wird, was alles davon abhängt.
Die Dinge sind eben aus den russischen Köpfen heraus gut durchdacht ... wie bei der Generalkonsulin Polens, die nun ohne Schreibkraft ihren Posten wahren darf.
Das ist nicht laut, dafür effektiv.
Mombo
Veröffentlicht: 13. Mai 2022 08:59 pmWenn die Speicher leer sind, können sie gefüllt werden. Dagegen spricht nur das Eigentumsrecht, das von Grundgesetz und Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) garantiert wird. Solch kleinliches Gesetzesgehabe hat die Bundesregierung aber nur selten gestört, wie man z.B. an den staatlichen Übergriffen bei den Covid19-Massnahmen und den Völkerrechtsbrüchen beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO/Bundeswehr gegen Jugoslawien erkennen kann.
Rechtsfragen sind Machtfragen.
Anton Amler
Veröffentlicht: 13. Mai 2022 11:55 pmMeine Einstellung zu Sanktionen:
Heilung muß weh tun, sonst verblasst die Erinnerung an die Ursache der Schmerzen !
Nicht nur Staaten des Warschauer Vertrages sind in Petrochemie und Energieerzeugung (Kernkraftwerke) existenziell an russische Technik und Rohstoffe gebunden.
Die freien Westdemokratien haben dem zum Schurkenstaat benannten Rußland den totalen Wirtschaftskrieg erklärt.
Es wäre kontraproduktiv, würde dieser "Schurke" dann das bestehende Schadpotential nicht bedenkenfrei und umfassend nutzen!
In einem fast vergessenen Gedicht, in dem ein "John Mainhard" sein brennendes Schiff "Schwalbe" von Detroit über den Eriesee steuert, greift er zu dem "verpflichtenden Manöver der letzten Möglichkeit" ... was Klippe, was Stein , jagt er die "Schwalbe" mitten hinein - soll
Rettung kommen, so kommt sie nur so - Rettung - der Strand von Buffalo.
Einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt, ist jede erfolgversprechende Gegenmaßnahme rechtens!
Mit einem ganz unverweichlichten "Basta"!
Uwe Erich Niemeier
Veröffentlicht: 13. Mai 2022 14:21... ja, und auch meine Hoffnung war immer, dass die Sanktionen hoffentlich lange dauern und weh tun. Damit ist Russland gezwungen, endlich etwas zu tun, um seine Souveränität und Selbständigkeit wieder herzustellen. Einen vorzeitigen "Sieg" Russlands, bevor dieser schmerzhafte Prozess nicht abgeschlossen ist und das "rettende Ufer" nach den Klippen erreicht ist, würde mich auch nicht freuen.
Bastian Радебергер Radeberger
Veröffentlicht: 17. Mai 2022 00:17 pm"Da relativieren sich die Aussagen des deutschen Vizekanzlers Robert Habeck vom gestrigen Tag erheblich, als er meinte, dass Deutschland den kommenden Winter überleben wird."
Das kommt mir so vor, als wenn ein unkundiger Steuermann ein Schiff auf Sicht fähert. Auf kurze Sicht, weil in seinem geistigen Nebel die eigentliche Fahrtstrecke - zum Nutzen des deutschen Volkes nicht kennt - und auch vom eigentlichen Ziel, der Reduzierung schädlicher Abgase, keinen blassen Schimmer hat. Er schwafelt das nach, was solche Pseudo-Wissenschaftler vom Untergang der Welt predigen wie solche Glaskugelvorhersager. Im eigentlichen Sinn haben Habeck, Baerziege und das restliche giftgrüne Gesocks doch von der ganzen Problematik keinerlei reale Vorstellungen. Das wollen die auch gar nicht haben. Je konkreter eine Aussage von denen ist, desto konkreter kann die angegriffen und widerlegt werden. Die wollen die Autos verbieten, sind aber zu blöd ein Radwegenetz zu planen, brauchen nur in NL abschauen.