Frau Dr. Merkel, warum darf ich nicht wählen?

Frau Dr. Merkel, warum darf ich nicht wählen?

An sich ist die Frage einfach zu beantworten: Es gibt ein deutsches Gesetz welches einer bestimmten Gruppe von Deutschen nicht gestattet zu wählen. Aber warum gibt es  dieses Gesetz?

Seit gut 58 Jahren bin ich Deutscher und lebe seit rund 25 Jahren im Ausland. Bis zum Jahre 1989/90 hatte ich die Möglichkeit am Aufbau des Sozialismus in den ostelbischen Gebieten des heutigen Deutschlands teilzunehmen. Und bis 1989 hat mich mein Staat (nach heutiger Auffassung ein undemokratischer) gesetzlich gezwungen, an den Wahlen teilzunehmen. Da ich ein disziplinierter Deutscher war, habe ich auch immer gewählt.

Das heutige Deutschland (nach allgemeiner öffentlicher Meinung ein demokratischer Staat) hat ein Gesetz, ziemlich aktuell vom Mai dieses Jahres, welches  mir die Teilnahme an den Wahlen in Deutschland nicht gestattet.

Eigenartig die unterschiedlichen Demokratieverständnisse, nicht wahr? Damals musste ich, heute darf ich nicht. Aber warum darf ich nicht? Die Formulierung im Wahlgesetz war mir etwas zu kompliziert und so zitiere ich hier die leichter verständliche Formulierung aus Wikipedia:

«Bei Bundestagswahlen dürfen Auslandsdeutsche(...)nur wählen, wenn sie entweder nach Vollendung ihres 14. Lebensjahres mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland gelebt haben und dieser Aufenthalt nicht länger als 25 Jahre zurückliegt

oder

wenn sie aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind.

Auslandsdeutsche, auf die dies nicht zutrifft, haben kein Wahlrecht bei Bundestagswahlen.»

Also ich habe natürlich nach meinem 14. Lebensjahr bis zu meinem 37. Lebensjahr fast immer (außer vier Jahre Studium in der Sowjetunion) ununterbrochen in Deutschland, eh ... in der DDR (eh, also doch Deutschland) gelebt. Ging ja auch nicht anders – die Mauer ließ keine Alternative zu. Anfang 1993 bin ich dann weg aus Deutschland. Das wiedervereinte Deutschland hat mir die Alternative geboten auch woanders mein Glück zu suchen. Aber hat mir gleichzeitig die Alternative genommen zu wählen, ob ich wählen will oder ob ich nicht wählen will.

Nun, man soll nicht übertreiben, denn noch sind fünf Jahre Zeit (mein Stichjahr läuft erst seit 1993) wieder die Voraussetzungen zu schaffen, um mein Wahlrecht doch noch im Jahre 2018 wahrnehmen zu dürfen. Ich fahre einfach nach Deutschland, bleibe dort drei Monate und schon  ist wieder alles Bestens – oder?

Aber wie beweise ich, dass ich drei Monate in Deutschland war? An Hand der Ein- und Ausreisestempel die mir vom russischen Geheimdienst (russische Grenztruppen unterstehen dem FSB) in meinen deutschen Reisepass gestempelt werden? Der ist aber nur bis 2016 gültig! Also aufheben – wenn denn der deutsche Staat diese FSB-Stempel als Beweis anerkennt. Also Zeugen in Deutschland sichern? Hoffentlich sterben die nicht oder wandern auch aus, wo sie dann nicht mehr erreichbar sind. Man könnte natürlich auch bei einem Notar ...

Mir scheint dies alles ein wenig kompliziert zu sein um mein in der Verfassung eindeutig geschriebenes Recht wahrzunehmen:

Zitat Grundgesetz: III.38.2 Wahlberechtigt ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat (...)

Aber der deutsche Gesetzgeber bietet eine Alternative an. Ich darf wählen, wenn ich nachweise, dass ich „… aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar vertraut bin mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland und von ihnen betroffen bin.“

Aber was versteht man denn nun wieder darunter und welcher deutsche Beamte legt fest, ob ich mit den politischen Verhältnissen unmittelbar vertraut bin? Muss ich eine Gesinnungsprüfung ablegen? Wie passiert das in der Praxis?

Sie merken also Frau Merkel, ich habe da als Deutscher ein paar Fragen rein bürokratischer Art.

Warum macht mir der deutsche Staat das Leben schwer, nur weil ich im Ausland lebe? Warum unterstellt mir der deutsche Gesetzgeber irgendwelche Dinge, die er bei Auslandsdeutschen vermutet (z.B. politische Desinteressiertheit, politische Desorientierung durch lange Abwesenheit und somit unqualifiziertes Wahlverhalten). Das scheint mir wiederum nicht dem deutschen Grundgesetz zu entsprechen:

Zitat: Artikel 3: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Ich verstehe schon, dass es für Deutsche im Ausland organisatorisch etwas schwieriger ist ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Aber das sollte auch das Problem des  Deutschen selber bleiben. Meine Meinung ist, dass ein deutscher Staatsbürger über ein uneingeschränktes Wahlrecht lebenslang verfügen muss. Der Aufenthaltsort sollte dabei, insbesondere in unserer modernen Kommunikationswelt, überhaupt keine Rolle spielen. Der Gesetzgeber sollte maximal einfache Festlegungen treffen, wie und wo ein Auslandsdeutscher seine Stimme abgeben kann – Punkt aus ...

Also noch einmal die Frage: Warum wurde dieses diskriminierende Gesetz für Auslandsdeutsche geschaffen – sind Deutsche die im Ausland leben Deutsche zweiter Klasse? Wenn mir jemand eine populär-verständliche und logisch nachvollziehbare Erklärung liefern könnte – ich wäre dankbar und auch bereit, diese Diskussion hier in diesem Portal öffentlich zu machen.

Und dann steht die Frage nach einem weiteren Artikel aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland:

Zitat: Artikel 19 (2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

Aber mein Grundrecht, dass ich ab meinem 18. Lebensjahr wählen darf, wird doch mit diesem Gesetz in seinem Wesensgehalt angetastet – oder verstehe ich da etwas nicht richtig?

Und nun die Frage der Fragen. Würde ich denn als Auslandsdeutscher überhaupt wählen?

Ja, ich würde wählen ... wieder wählen, denn viele Jahre bin ich nicht zur Wahl gegangen. Aber die Verhältnisse und Ansichten ändern sich – auch bei einem ostelbisch Geborenen der im Ausland lebt.

Ich bekenne es offen, dass ich von keiner Partei in Deutschland so richtig überzeugt bin. Aber wenn, dann würde ich vermutlich die FDP wählen. Warum? Zum einen mag  ich es die Schwachen der Gesellschaft ein wenig zu unterstützen und zum anderen habe ich den Eindruck, als ob die FDP doch etwas mehr Verständnis für unternehmerische Probleme hat. Und für mich als deutscher Unternehmer in Russland ist das wichtig.

Auf alle Fälle würde ich aber sofort eine Partei wählen, die sich als eines ihrer Wahlziele die Einführung der Visafreiheit mit Russland gesetzt hat (vielleicht hat sich die FDP so ein Ziel gestellt? Denn immerhin bringt die Visafreiheit deutschen Unternehmern ungeahnte Möglichkeiten in Russland visabürokratisch ungehemmt Geld zu verdienen). Mit der gegenseitigen Visafreiheit machen wir die Russen sofort glücklich. Und wenn die Russen glücklich sind, dann werden auch die Deutschen glücklich – denn die können auch visafrei nach Russland reisen.  Und was spricht nun dagegen, dass alle glücklich sind? Aber vielleicht sollte man diese Frage doch lieber dem deutschen Innenminister Friedrich stellen.

Ich möchte also nun meine Stimme abgeben damit es uns, den Deutschen und auch den Russen besser geht. Warum darf ich es nicht (oder bald nicht mehr)? Ich finde das Gesetz ist ungerecht, unmodern und diskriminiert Deutsche und entspricht nicht dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Wir Deutsche in Kaliningrad werden am 22. September wählen – im Rahmen der im Deutsch-Russischen Haus organisierten Wahlparty, bis 19.00 Uhr Ortszeit. Die Organisatoren haben sich keine komplizierten Regelungen einfallen lassen – wir wollen uns einfach nur politisch-gesellschaftlich betätigen – auch wenn die Ergebnisse natürlich nirgendwo offiziell berücksichtigt werden.

Mit anderen Worten, man braucht keine juristisch-politisch schwer nachvollziehbaren Gesetze um sich als vollwertiger Deutscher zu fühlen und auch ein vollwertiger Deutscher zu sein.


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